Die Vorgeschichte von Drafildskon Drafskjaer

Gute Nacht!

So sollte eine Geschichte vielleicht nicht anfangen, aber im Falle von Drafildskon Drafskjaer ist genau dies angemessen. Aber um zu verstehen, was es denn damit auf sich hat, genügt es nicht, bei Drafildskon`s Geburt oder seiner Zeugung anzufangen. Man muss schon zwei Generationen zurückgehen, zum Großvater Drafildskon`s, Peklanwurnkyazon Drafskjaer. Drehen wir das Rad der Zeit also einmal um runde 70 Jahre zurück...

Peklanwurnkyazon Drafskjaer ist ein angesehener Mann in dem kleinem Fischerdorf Broedjevijk im hohen Norden. Er ist einer der erfolgreichsten Fischer. Erst vor zwei Monaten hat Hyggelsson Bjaernasson mit dem großen Stör den größten Fisch der Welt (so meint man in Broedjevijk) an Land gezogen. Davor gehörte diese Ehre Peklanwurnkyazon. Nun konnte Hyggelsson nach dem zehnten Humpen Met nicht mehr gerade gehen, wie sonst ist die riesige Beule zu erklären, die er auf seinem Haupt nach der Siegesfeier trug? Peklanwurnkyazon trägt im Dorf übrigens auch den Beinamen Crushnilsjok, was auf Terra ungefähr zarter Dampfhammer heißen mag.

Jedenfalls kann Peklanwurnkyazon diese Schmach nicht länger auf sich sitzen lassen. Nur den Fisch im Sinn und die Realität fortgeschwemmt, beschließt er, als erster und einziger Mensch einen Wal mit eigener Hand zu fangen. Mitten in der Nacht bricht er alleine zu seiner großen Fahrt, wie er sie später nennen wird, auf.

Drei Tage und drei Nächte verbringt Peklanwurnkyazon auf der See. Die Vorräte gehen schon langsam zu neige, und noch kein Wal hat sich je blicken lassen. Da, im fahlen Lichte des Morgengrauens, sieht Peklanwurnkyazon einen silbrigen Schleier. Verwundert schaut er zuerst nach dem Schleier, dann nach seiner letzten Flasche Met und dann wieder nach dem Schleier. Weg ist er. Peklanwurnkyazon beschließt, sich auf den Heimweg zu machen und sich bei Nacht und Nebel in sein Haus zu schleichen. Doch gerade, als er die Flasche ansetzt, taucht der Schleier wieder auf, diesmal etwas näher. Verwundert schaut er nach der Flasche, fühlt mit der Zunge in seinem Gaumen, ob er wohl schon etwas getrunken hat – trocken, und außerdem kribbelig. Neugierig steuert er in Richtung des Schleiers, der seinerseits auf ihn zukommt. Nach Minuten zwischen Angst und Freude erkennt er, was er kaum zu hoffen gewagt hatte: "Das ist er, der gewaltige und sagenumwobene Paetteskilk (Silberfisch)! Ich, Peklanwurnkyazon Drafskjaer, werde ihn eigenhändig fangen! Man wird mich zur Legende machen, zum Dorfkönig, ach was sage ich!!! Der Paetteskilk ist der Herr des Meeres, und wenn ich ihn erst gefangen habe, werde ich der Herr des Meeres sein!"

Nun gibt es kein Halten mehr für den hünenhaften Mann mit dem windgeprägten Gesicht. Fieberhaft werden die Speere bereitgelegt, das Netz ein letztes Mal geprüft und das Steuer festgestellt. Erwartungsfroh und mit seit Jahren nicht mehr gesehenem kindlichen Lächeln steht er da, den Speer in der Hand, und wartet auf den Fisch der Fische. Konzentriert bis in die Haarspitzen wartet er auf das nächste Aufblitzen des Schleiers, und wartet, und wartet, und wartet, ...

Plötzlich taucht keine zehn Meter vor ihm ein silbrig-leuchtender Koloss auf. Er lässt seinen mächtigen Kopf aus dem Wasser steigen, um ihn danach wieder hineinplatschen zu lassen. Unglaubig steht Peklanwurnkyazon auf seinem Schiff und starrt auf den Fisch – und schon erreicht ihn die Welle. Sie droht ihn vom Boot zu werfen, doch der erfahrene Seebär schafft es, sich an der Bootwand festzuklammern. Ein paar Wellen wackeln noch unter dem Boot durch, dann ist die See so still, wie sie vorher war. Peklanwurnkyazon berappelt sich. Er steht auf und hält mit leuchtenden Augen krampfhaft seinen besten Speer in der Hand, so fest wie noch nie. Ich werde ihn fangen, ich werde ihn fangen, ich werde ihn fangen, ich werde ...

Da taucht er wieder auf, an der gleichen Stelle, als wolle er mit ihm spielen! Peklanwurnkyazon nimmt alle Kraft zusammen und wirft ihm den Speer in den Bauch. Wieselflink greift er sich einen zweiten und wirft ihn ebenfalls in sein Ziel. Doch der Fisch scheint zu lachen, er taucht in das Wasser ein und reißt das Boot um. Peklanwurnkyazon springt gerade noch aus dem Boot heraus, direkt auf den Fisch zu. Er schafft es, sich an seinem Speer festzuhalten und schreit: "Du entkommst mir nicht, und wenn ich mit dir zum tiefsten Grund des Meeres tauchen müsste!"

Das war dann wohl der falsche Ruf. Der Paetteskilk taucht in das Meer ein und taucht immer tiefer. Es wird dunkler und dunkler, und ein Beobachter würde sich wundern ob des obskuren Anblicks: Der Herr des Meeres, geachtet und gefürchtet von allen in ihm wohnenden Kreaturen, taucht in seine Tiefen, und an ihm dran hängt der so kleine Hüne Peklanwurnkyazon, der wild an dem Speer reißt wie eine Hausfrau mit dem Schneebesen, und scheint unablässlich zu schreien... dann wird es Nacht um Peklanwurnkyazon...

Als er aufwacht, ist er in einem düsteren Raum. Nein, es ist kein Raum, es ist eine Höhle! Und überall ist es feucht und diese totale Stille... – "Ahoi, mein Junge!" Wie Donnerhall fährt es Peklanwurnkyazon durch Mark und Bein. Eine so machtvolle Stimme hat er noch nie gehört, und eine so angsteinflößende erst recht nicht. Er traut sich nicht, sich umzudehen, aber seine Muskeln scheinen nicht so zu wollen wie er will... Wie von Geisterhand dreht er sich, oder besser, wie von Dämonenhand...

Er erstarrt am ganzen Leib. Die Haare stehen ihm zu Berge, er will zittern, aber noch nicht einmal das gelingt ihm. Der hanze Körper ist steif, kein Muskel will ihm mehr gehorchen, erst recht nicht die Beine, die ihm wie Säulen scheinen. "Ein ganzer Sehmann von oben bis unten. Noch nie habe ich einen Sterblichen gesehen, der nicht vor dem Paetteskilk geflohen ist, geschweige denn auf ihn gesprungen ist! Meine Hochachtung zu der größten Tat deines Lebens, mein Junge, ... die ja wohl deine letzte gewesen ist!!!

"Bin ich – bist du – bin ich in der – der Unterwelt?" fährt es aus Peklanwurnkyazon heraus. "Nein, zumindest nicht in dem, was du so Unterwelt nennst – naja, sagen wir besser noch nicht! Du bist hier an der tiefsten Stelle des Meeres, und du bist der zweite Mensch, der hier gelandet ist. Aber hier rede ich und nicht du!!!"

Kälte fährt durch Peklanwurnkyazon, Kälte, wie er sie im schlimmsten Winter noch nicht gespürt hat. Schweigend und unfähig, auch nur die Augen zu bewegen, muss er auf dieses Wesen, so es denn eines ist, starren, obwohl der schiere Anblick schlimmer ist als alles, was er je beschreiben könnte...

"Vor 50 Jahren kam einmal ein Mann in diese Tiefen herab. Er schwamm durch das Meer, als sei er ein Fisch. Er schwamm drei Stunden in der Tiefe, in Tiefen hinein, die selbst die großen Wale nicht erreichen. Er musste mächtig sein, und ich wusste, dass ich mit ihm Macht bekäme, weit mehr Macht, als ich in tausenden von Jahren aufbauen konnte. So schuf ich diese Höhle und holte den Mann zu mir. Ich versklavte ihn und ließ seine Macht in mich fließen. Dummerweise fühlte ich mich zu sicher, und er war noch mächtiger, als ich je gedacht hatte. Er war böser als ich es bin, schwärzer als ich es bin, nur mächtiger war er nicht. Meine Macht lockte ihn noch mehr als mich seine, und so holte er zu einem Zauber aus, der mich fing, ihn 5 Tage ohnmächtig liegen ließ, über die Hälfte der Fische des Meeres tötete und einen Teil des Landes im Nichts verschwinden ließ. Die astrale Macht war erschüttert und hatte ein tiefes Loch. Ich aber konnte während dieser fünf Tage nichts tun. Als er wieder aufwachte, merkte ich, wie meine Macht auf ihn zu Überströmen begann. Seither kommt er wieder und wieder hierher, um noch mehr Macht aufzubauen. Meine Macht ist zu stark, als das er bisher alles hätte abschöpfen können, aber er hält mich gefangen und ich alleine kann nichts mehr dagegen tun. Nun, wieso erzähle ich dir das???

Du bist die Möglichkeit, die Möglichkeit meiner Befriedigung. Entweder du schmorst in der tiefsten Tiefe der Unterwelt, und ich persönlich werde dafür sorgen, dass es dir schlimmer geht als irgendeinem zuvor, oder du hilfst mir, mich von meinem Beherrscher freizumachen! Hole die goldene Halskette, die um seinen Hals hängt, und bringe sie mir! Mit ihr werde ich ihn und dann die ganze Welt unterjochen. Sei erfolgreich, und du wirst auf ewig in meinem Reich neben mir sitzen. Verfehle dein Ziel, und du wirst erfahren, wie das Leben noch schlimmer sein kann als die Unterwelt. Geh´ jetzt. Du wirst aufwachen und in deinem Boot treiben. Du wirst nach Hause fahren, dich ausrüsten und dich auf den Weg machen. Der Weg wird dir wie eine Karte vor den Augen liegen. Du kannst dein Ziel nicht verfehlen."

Von diesen Worten hat Peklanwurnkyazon Drafskjaer kein einziges behalten. Was blieb, ist ein Loch von 4 Tagen und 3 Nächten, der Auftrag und der Weg. Niemand weiß, wie Peklanwurnkyazon es geschafft hat, dem Magier sein Amulett zu entreißen. Er selbst wußte, als er das Amulett in den Händen hielt, plötzlich, dass es ein riesiges Unglück geben würde, wenn er seinem Unterbewußtsein weiter nachging. Er hatte eine Vision einer Spaltung der Welt in schwarz und weiß, in rot und gelb und in Leben und Sterben. Die in tausende Teile gespaltene Welt vereinigte sich wieder und explodierte in einem bläulich-silbern scheinendem Feuerball. Diese Visionen sagten ihm dass das Amulett vernichtet werden müsse. Er sprang mit dem Amulett in den heißesten Vulkan, der ihm bekannt war. Er, durch das Amulett, das er um den Hals trug, mit quälender Macht beladen, führte mit seinem Tod den größten Vulkanausbruch herbei, von dem jemals berichtet wurde. Das Amulett, welches die Macht von Abertausenden von Seelen besaß, explodierte mit ihm. Magier, Schamanen, Zauberkundige aus aller Herren Länder fielen in eine tiefe Ohnmacht. Viele starben, doch einige erlebten den Vorfall bewußt, intensiv und mit großem Schmerz. Ihren Berichten zufolge war eine Erschütterung im Astralen Geflecht geschehen, die nur aus dem Tod eines Dämons oder Gottes herrühren konnte.

Wir, die wir diese Geschichte lesen, wissen, dass kein Gott gestorben ist. Die Macht eines Dämons hatten zwei. Die Frage ist nun: Wer ist gestorben? Der Dämon oder der Magier? Einer lebt, und kein Mensch weiß wer... außer vielleicht einem...
 
 
 
 

Peklanwurnkyazon hatte eine Frau, vier Söhne und sechs Töchter. Im Moment seines Todes war allen Familienmitglieder mit tödlicher Gewissheit das Ableben ihres Mannes bzw. Vaters klar. Im Dorf wurden sie von allen Dorfbewohnern bemitleidet. Keiner schien einen Zweifel daran zu haben, dass Peklanwurnkyazon gestorben war, obwohl der abenteuerlustige Mann oft wochenlang fort war. Diesmal war es aber anders.

Im Dorf fand eine Trauerfeier statt. Statt des Leichnams Peklanwurnkyazons wurde sein Schiff den Göttern, allen voran dem Paetteskilk, geopfert. Kein Barde kannte eine Geschichte, in der dieses jemals geschah, bevor der Tote gefunden worden war. Selbst dann wurde diese Ehre nur einigen Auserwählten gewährt. Peklanwurnkyazon war weder adelig noch der Dorfvorsteher, aber keiner zweifelte an der Rechtmäßigkeit dieser Geste.

Als das treibende Schiff mit brennenden Pfeilen in Flammen gesetzt wurde, johlte die Menge und rief Peklanwurnkyazon die letzten Wünsche zu. Als schließlich seine Angetraute, eine ebenso hünenhafte und geachtete Frau, den letzten Pfeil auf das Boot schoss, zerbarst dieses in einem riesigen Flammenmeer. Über den brennenden Resten gingen Blitze und Donner nieder.

Die Stille im Dorf schien kein Ende zu nehmen. Hätte jemand daran gedacht, er hätte die Luft schneiden können. Schließlich lief die Menge auseinander und suchte fieberhaft nach Opfergaben, um die Götter zu besänftigen. Peklanwurnkyazons Frau Gunhildsdrak wurde mit Gebeten bedacht und aus dem Dorf verwiesen. Man war sich einig: Ihr Mann und sie mussten verflucht sein. Sie konnte nicht länger im Dorf bleiben, da sonst vielleicht das ganze Dorf gefährdet worden wäre.

Im Morgengrauen des nächsten Tages stieg sie mit ihren 10 Kindern in ein kleines Boot, das ihnen von Hyggelsson Bjaernasson überlassen wurde. Er fühlte sich schuldig, da er der Grund für die Ausfahrt Peklanwurnkyazons gewesen war, von der er als ein anderer Mensch wiedergekommen war. Doch das Glück sollte nicht mit ihnen sein.

Sie segelten Richtung Norden, da sie dort kein Dorf mehr vermuteten. Da sie wohl verflucht waren, wollten sie keinen Menschen gefährden. Zwei Tage und zwei Nächte segelten sie, die Älteren allesamt erfahrene Seeleute. Vielleicht versuchten sie, ihrem Fluch davonzusegeln, und die Winde schienen es gut mit ihnen zu meinen.

Am dritten Tag aber meinten sie es zu gut. Aus der steifen Brise wurde ein Sturm, und die Wellen peitschten ihnen nur so um die Ohren. Das Boot wurde hin- und hergeworfen. Sie rafften die Segel und versuchten, das Boot so günstig wie möglich im Wasser zu halten, ein Vorgang, der ihnen nur zu gut bekannt war. Dennoch, war es Unglück oder Fügung, verloren sie diesmal den Kampf gegen die See. Das Boot splitterte und krachte, bis es schließlich in seine Teile zerbrach. Fast alle fanden ein feuchtes Grab, und ihre Schreie hallten trotz des Sturmes weit über die See.

Der kleine Droklenjosch, damals zarte 4 Jahre alt, schaffte es aber wie ein Wunder, sich über den Wellen zu halten. So schnell, wie der Sturm gekommen war, legte er sich wieder. Würde jemand diese Szenerie miterlebt haben, müsste er den Eindruck gehabt haben, dass dieser Sturm nicht natürlich war. Vielleicht war es das Glück von Droklenjosch, dass er so klein war, das ihn jemand übersehen hatte. Er dachte zumindest, dass er Glück gehabt hatte...

Als der Junge den Strand erreicht hatte, fiel er erschöpft zusammen. Er fand nicht einmal die Zeit zum Weinen, sondern fiel in einen tiefen Schlaf.

Als er aufwachte, saßen zwei Männer mit einem Netz voll Fischen vor ihm. Er wollte weglaufen, doch sie hielten ihn fest. Sie baten dem Junge einen Fisch an, den er, roh wie er war, gierig verschlang. Danach erzählte er ihnen, das seine Familie auf dem Meer gewesen war, woher er kam ("Wir kamen von da!!!"), dass ihr Boot im Sturm gesunken war, dass er sich an den Strand gerettet hätte und was er sonst noch für wichtig hielt. Daraufhin nahmen die Männer den weinenden Jungen mit sich in ihr Dorf.
 
 

Droklenjosch wuchs mit zwei Brüdern und einer Schwester auf. Einer der beiden Männer nahm ihn in seine Familie auf. Im Laufe der Jahre zeigten sich die Talente, die sein Vater ihm vererbt hatte. Er wurde einer der besten Fischer des Dorfes, und mit den Jahren verflog die Angst vor dem, was er erlebt hatte. Schließlich, als junger Mann, bekam er sein eigenes Schiff und führte eine Truppe von Fischern an. Droklenjosch gründete mit Wurkamla eine Familie, aus der 4 Söhne und 5 Töchter hervorgingen. Sein Leben schien einen glücklichen Verlauf zu nehmen...

Eines Tages aber sollte sich rächen, dass die Barden seine Geschichte aufgenommen hatten. Niemand hat den Fremden gesehen oder gehört, aber viele haben seine Anwesenheit gespürt. Von dem Tag an, an dem im Dorf aufgeregt über diese beklemmenden, nahezu erdrückenden Gefühle geredet wurde, ging es mit der Familie Droklenjoschs bergab...

Seine älteste Tochter starb nach kurzer, aber schwerer Krankheit. Zwei seiner Söhne ertranken bei ihrer ersten Ausfahrt. Die weiteren Töchter und die zwei anderen Söhne kamen wie viele andere im Dorf bei einem großen Feuer um.

Droklenjosch und seine Frau lebten wie viele andere Dorfmitglieder in Trauer weiter. Nach und nach begannen ihnen Missbildungen zu wachsen. Zuerst wuchsen ihnen Warzen, die nach einiger Zeit auch wieder verschwanden. Dann schwollen ihre Gliedmaßen dann und wann mal an oder verdünnten sich eigenartig. Zu diesem Zeitpunkt gebar Wurkamla einen weiteren Sohn, den die beiden Drafildskon nannten. Droklenjosch, der sich an die Geschichte, die sich in seiner Kindheit abgespielt hatte, in letzter Zeit unbewußt erinnert hatte, vertraute seinen Sohn seinem besten Freund Kjellvaersbroen an. Noch waren die Missbildungen zu verstecken oder zu erklären, aber das konnte schon bald nicht mehr der Fall sein. Kjellvaersbroen sollte seinen Sohn aufziehen, sobald er und seine Frau das Dorf verlassen müßten. Kjellvaersbroen schwieg über die Verwandlungen Droklenjoschs und Wurkamlas. Nichts sollte später den Jungen belasten, nichts sollten die Dorfbewohner gegen ihn haben.

Als Droklenjosch im Verlaufe der weiteren zwei Jahre so absurde Dinge wie ein zweiter Daumen gewachsen waren, beschloss er, dem ganzen ein Ende zu machen. Er und Wurkamla verabschiedeten sich von Kjellvaersbroen. Sie ließen Drafildskon in seiner Obhut, angeblich, um ihren zehnten Hochzeitstag auf der See zu feiern. Zumindest war dies´ die Begründung, die der Allgemeinheit zu Ohren kam. Kjellvaersbroen wußte Bescheid; er würde Drafildskon ein guter Vater sein. Droklenjosch und Wurkamla stachen mit Feierbeflaggung in See. Dort opferten sie sich dem Paetteskilk. In guter Tradition setzten sie ihr Schiff in Brand und gingen mit ihm unter.
 
 
 
 

Drafildskon schien zunächst das gleiche Schicksal zu befallen. Auch er plagte sich mit einigen Missbildungen herum. Hinzu kam nun auch noch die Trauer um Vater und Mutter. Das Schicksal aber scheint es mit Drafildskon endlich gut zu meinen.

Die Missbildungen sollten sich für das Kind mit der Zeit zu einer unschätzbaren Gabe entwickeln. Aus welchen Gründen auch immer, bei ihm stellte sich keine Folge von immer schlimmeren Auswüchsen ein. Die Missbildungen begannen ein Jahr nach dem Tode von Vater und Mutter zu erschlafften. Sie gingen nicht weg, aber sie fielen in sich zusammen und bildeten eine immer weichere Masse. Zuerst sah das Kind wie ein lebendiger Sack aus, doch mit der Zeit entwickelte Drafildskon die Fähigkeit, diese weiche Masse ein wenig an seinen Körper anzupassen. Er lernte immer weiter sie zu formen, bis er ihr schließlich eine beliebige Gestalt geben konnte. Mit der Zeit konnte er diesen Gestalten auch eine gewisse Stabilität verleihen.

Dieses brachte den Jungen in die Gunst seiner Freunde. Sachen, die ihre Eltern an hohe, unzugängliche Orte gestellt hatten, erreichte er mit Leichtigkeit. Dieses brachte ihm eine Menge Ärger ein, weshalb er seine Fähigkeiten im Dorf kaum mehr einsetzte. Man sah ihn häufig mit seinem Stiefonkel, dem Zimmermann des Dorfes, durch die Wälder ziehen. Dort konnte er seinen Körper ungestört ausprobieren. Am liebsten kletterte er durch die Bäume, in denen er mit der Zeit jeden Ort erreichte. Wenn ein Ast nicht zu erreichen war, dann half ein sich verformender Körper weiter. Drafildskon entwickelte hierbei mehr und mehr die Fähigkeit, seinen eigentlichen Körper mit der Masse mit zu verformen. Seinem Stiefonkel waren diese Verwandlungen zwar nicht immer ganz geheuer, doch nahm er ihn gerne mit, da der Junge auch beim Baumfällen und –abtransportieren recht hilfreich war. Er hatte schon immer für sein Alter eine recht kräftigte Statur. Auch wenn alle anderen recht kräftige, durch die Seefahrt gestählte Kerle waren, ihre Kinder hätten nicht so gut helfen können wie dieser Junge. Und wenn er dabei diese komischen Spinnereien ausleben musste, dann sollte er es bitte tun.

Als Drafildskon älter wurde, begann auch für ihn die Zeit des Seefahrens. Es durfte im Dorf niemanden geben, der mit Schiff und Fischen nicht umgehen konnte. Also musste Drafildskon mit auf See fahren, fischen, das Deck schrubben, Segel ausbessern, Fische aufnehmen und auch mal grillen, und und und...

Bei dem anstrengenden Leben als Seemann blieb keine Zeit zum Ausprobieren von irgendwelchen Körperformen. Tat er es dann doch einmal, bekam er umgehend die Quittung von den abergläubischen Seemännern. Mehr als einmal drohten sie ihm, ihn über Bord zu schmeißen, damit die Götter besänftigt würden. So ließ er seine Verwandlungen mehr und mehr sein.

Drafildskon begann, das Seefahren zu hassen. Es machte ihm überhaupt keinen Spaß, auch wenn er sich als sehr geschickt erwies. Oft sagte man ihm: "Du hast das Blut eines Seefahrers, aber nichts als Flausen im Kopf. So wird das nichts!" Trotzdem erledigte er seine Aufgaben weiterhin nur so, wie es unbedingt sein musste. Anders als seine Väter wurde er nicht zu einem anerkannten Seefahrer. Er wollte aber auch keiner werden. Die Zeit verging, und Drafildskon sehnte sich mehr und mehr nach dem Landleben.
 
 

Als er 16 Jahre alt wurde, erfüllte Kjellvaersbroen den letzten Wunsch Droklenjoschs. Dieser hatte ihm gesagt: "Ich weiß nicht viel über meine Eltern, aber eines musst du wissen. Mein Vater muss irgendeinen Fluch auf sich geladen haben. Ich weiß nicht, was für ein Fluch das ist und wieso er ihn hatte, aber alles, was meinen Eltern, meinen Geschwistern, meiner Frau, meinen Kindern und mir passiert ist, spricht dafür. Sorge dafür, dass niemand, auch Drafildskon nicht, davon erfährt. Wenn er alt genug ist, dann schicke ihn weit fort aus unserem Lande. Lasse ihn sein Glück weit im Süden machen. Wenn es einen Ort gibt, wo er dem Fluch entfliehen kann, dann muss das im Süden sein. Dort soll es Länder geben, in denen andere Götter herrschen. Wer immer auch meinen Vater mit einem Fluch belegt hat, hier im Norden wird er seine Macht immer haben und seine Opfer immer finden. Drafildskon darf nicht hier bleiben. Verhindere, dass er ein Seefahrer in den Meeren des Paetteskilk wird."

Kjellvaersbroen machte Drafildskon den Vorschlag, sein Glück im Süden zu machen. "Hier im Norden kannst du nur ein Seefahrer werden, mein Junge. Wenn du etwas anderes machen willst, so suche dein Glück weit, weit im Süden. Ich werde immer an dich denken."

Drafildskon war zuerst schockiert über den Vorschlag. Er hatte sein ganzes Leben um das Dorf oder auf dem weiten Meer verbracht. Die Vorstellung, sein ganzes Leben komplett umzustellen, war zu viel für ihn. Niemand dachte je daran, die Meere des Paetteskilk zu verlassen. Aber er hasste diese Meere. Er wollte nicht auf ihnen umherfahren. Wenn er aber kein Seefahrer würde, würde er sein ganzes Leben verhöhnt werden. Sein Stiefonkel, der Zimmermann, hatte ihm das erzählt. "Wenn du nicht zur See fährst, nicht Fische fängst und dich im Wasser tummelst wie ein Aal, dann werden dich alle auslachen. Ein echter Kerl fährt zur See. Das musste auch ich einsehen. Ich bin für sie kein echter Kerl, auch wenn die meisten ihrer Boote aus meiner Hand stammen."

So reifte also der Entschluss. Drafildskon verließ Paentrjosgork und reiste Richtung Süden. Die Erinnerung an seinen Stiefvater wird der Kompass festigen, den dieser ihm schenkte. Sein Stiefonkel schenkte ihm zu seinem Abschied ein geschnitztes Schiff mit einem Segel aus Leinen. Ein Abschiedsfest gab es für ihn nicht, da ein Kind des Nordens, das nicht zur See fährt, so etwas einfach nicht wert ist. Nichtsdestotrotz begann seine Reise auf dem Schiff. Seine alten Freunde erwiesen verabschiedeten sich von ihm, indem sie ihn so weit nach Süden fuhren, wie sie es für gut befinden konnten. Danach ging es für ihn auf Schusters Rappen weiter.

Drafildskon war mindestens ein halbes Jahr in der Wildnis unterwegs, bevor er auf das erste Dorf traf. Zwar machte er dort eine Pause und verdiente sich seinen Unterhalt und ein paar Kupfermünzen als Gehilfe des Zimmermanns. Es konnte ihm aber nicht so richtig gefallen. Dorf um Dorf reiste er weiter, immer weiter Richtung Süden. Nach vier Jahren des Umherreisens kam er schließlich nach Isdarae. Es war die erste Stadt, die ihm so richtig gefallen konnte. Hier verdiente er sich sein Geld wie immer als Zimmermann. Er lernte das Leben einer pulsierenden Großstadt hier zum ersten Mal richtig kennen und verspielte und vertrank dabei so manche Kupfermünze. A propos trinken: So ein waschechter Nordländer macht den Landeiern aus dem Süden da doch so einiges vor.

Drafildskon scheint sein Glück gefunden zu haben, nur eine Frau fehlt ihm wohl noch. Drei Probleme soll es aber geben:

Anscheinend mag man in Isdarae Menschen mit "wandelbaren Armen" nicht.

Drafildskon findet die Stadt zwar aufregend, aber ab und an fehlt ihm doch die Wildnis und (man mag es kaum glauben) das Meer.

Bleibt zu hoffen, dass Droklenjosch mit seiner Vermutung, dass Drafildskon im Süden dem Fluch entkommt, Recht behält, oder dass der Magier und nicht der Dämon damals überlebt hat und inzwischen gestorben ist, oder dass Drafildskon letztendlich übersehen worden ist...

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Diese Geschichte wurde unverfälscht aus Gerrits Feder übernommen, und mit seiner freundlichen Genehmigung der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt...


top   14.10.2003 by Zuul