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Vorgeschichte - Lanaria


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Allein sitzt sie mit einem in die Ferne gerichteten leeren Blick und stochert gedankenverloren mit einem Stock in dem Feuer vor sich herum. Ein kleiner Faden schimmert im Widerschein der Flammen unter ihrem Mundwinkel. Näher betrachtet sieht man, daß es sich um eine dunkle zähe Flüssigkeit handeln muß, die ihr aus dem Mund gelaufen ist. Mit gequältem Gesichtsausdruck schließt sie die Augen und man könnte glauben, daß sich jeden Moment ihre Tränen ergießen würden, doch mehr als den Schmerz des Ausdrucks im Gesicht sieht man nicht.

Tief in Ihr brennt der Schmerz der Erinnerung:

Mit einem heftigen Stoß schafft sie es den elenden Blutsauger auf der Brücke gegen das Geländer zu stoßen, welches mit einem berstenden Geräusch nachgibt und er stürzt kreischend in den Bach darunter. Unter Qualen schreit er quiekend: "Du verdammte Wildkatze! Ich verfluche Dich! Mögest Du sein, wie die Jägerinnen der Nacht und ruhelos...".

Der restliche Satz erstickt im Wasser als sein Mund unter die Oberfläche gerät.

"Mein Tod wird Dir zum Verhängnis werden", zischt er sie unter Qualen an, während sie über das Brückengeländer springt. Mit gezücktem Schwert, welches vom einem rötlichen Schein der von seiner kupfernen Oberfläche ausstrahlt umrahmt wird, watet sie auf ihn zu und holt zum vernichtenden Schlag aus, während seine letzten Worte tief in ihr Herz dringen: "und dieses Metall wird Dein Verderben sein". Mit einem sirrenden Geräusch fährt das Schwert durch seinen Hals und trennt den Kopf scheinbar mühelos von seinen Schultern.

Erschöpft läßt sie sich auf die Knie sinken, während das klare Bachwasser sie umspült und der Körper vor ihr langsam die Alterung nachholt, welche ihm in den letzten Jahrhunderten mißgönnt worden war. Erst jetzt sieht man ihr die Anstrengungen der letzten Tage an, welche ihrem Leib zugesetzt hatten. Sie taucht ihren Kopf einmal in das klare Wasser und hebt ihn um die kühle Nachtluft einzuatmen.

Das war das letzte Mal, daß sie das Wasser eines Baches in dieser Form genossen hatte. Ihre Augen öffnen sich und ihr Blick taucht tief in die Flammen ein.

Es war jetzt ein paar Tage her, daß sie diesem Untoten seine letzte Ruhe beschert hatte, aber dennoch hatte sie seither keinen richtigen Schlaf mehr finden können. Immer wieder mußte sie an diesen Blick denken, als er starb. Er hatte auf sie - trotz seines Untergangs - wie der Sieger des Kampfes gewirkt. Außerdem fühlte sie sich miserabel, schlimmer noch als sonst, wenn der Monat ihr sein Zugeständis bescherte.

Sie hatte keinen rechten Appetit mehr gehabt und alle Speisen schmeckten irgendwie verdorben, obwohl sie immer noch frisch aussahen. Vielleicht hatte sie einfach zu lange von diesem Reisefraß leben müssen.

Dankbar fiel ihr Blick auf einen kleinen Gebirgsbach, denn auch ihr Wasservorrat war schon längst aufgebraucht. Der Durst brannte in ihr. Sie hatte noch niemals so gierig und unüberlegt mit ihren Vorräten gehaushaltet. Hastig stürzte sie sich an den Rand des Gewässers und tauchte ihren Kopf tief in das Wasser um davon zu trinken.

Sie zuckt bei diesem Gedanken zusammen und faßt sich unweigerlich an die Wange und streicht beinahe ängstlich über ihr makelloses Gesicht. Von ihren Gedanken gepeinigt presst sie die Augen zusammen. Wann würde dieser Albtraum enden?

Mit einem lauten Schmerzenschrei ruckte ihr Kopf zurück und die Haut ihres Gesichtes rauchte, als ob ihr eine unvorstellbare Säure ins Gesicht geschüttet worden wäre. Ein Laut, der einem Tier aus der Kehle entronnen sein konnte, füllte den Wald mit dem Widerhall ihres Schmerzes.

Der Stock entgleitet ihrer Hand und sie versenkt ihr Gesicht in den Handflächen. Minutenlang sitzt sie völlig regungslos in dieser Haltung, während das Holz nun die leckenden Flammen des Lagerfeuer annimmt. Knisternd brennt der dünne Ast wieder, doch ihre Gedanken sind bereits wieder an anderer Stelle.

Spät in der Nacht sah sie das Licht einer kleinen Berghütte. Ihre Hände waren in dicken Verbände eingehüll, und auch ihr Gesicht wurde von groben Leinen verdeckt. Es waren bestimmt schon Tage vergangen, seit sie das Wasser des Baches hatte trinken wollen. Schwer torkelnd bewegte sie sich auf den schwachen Schein zu.

Dort angekommen blickte sie durch das grobe Fenster hinein. Sie sah undeutlich die warme Glut im Kamin leuchten und eine Gestalt in einer Decke gehüllt auf dem Boden liegen. Noch ein Wanderer, überlegte sie, aber gleichzeitig spürte sie ein gefährliches Drängen in ihrem Innern, welches sie mit tiefer Furcht erfüllte. Wahrscheinlich halluzinierte sie schon. Bestimmt waren Gesicht und Hände von diesem verseuchten Bach schon von eitrigen Pusteln übersät und der Wundbrand ließ sie schon Angst vor sich selbst bekommen.

Schleppend legte sie die letzten Meter bis zur Tür zurück und drückte die Klinke vorsichtig hinunter. Mit einem protestierenden Geräusch ließ sich die schwere Holztür leicht nach außen bewegen und sie wollte einen Schritt hinein gehen, doch ihre Beine wollten ihr nicht gehorchen. Mit schreckerweiteten Augen starrte sie ungläubig auf ihre Beine herab, welche zitterten, als ob ein Erdbeben den Berg heimsuchen würde, doch schaffte sie es nicht den Fuß über die Schwelle zu setzen. Ihre Finger umklammerten den Türrahmen und sie versuchte sich daran in den Raum hinein zu ziehen, doch auch die Arme schienen in stillem Protest gegen ihre Besitzerin gezogen zu sein.

Ungläubig schaute sie in die warme Stube hinein, auf deren Boden sich der Mann nun etwas unruhiger bewegte, kroch die nächtliche Kälte doch wie ein stiller Feind hinein.

Schaudernd irrt ihr Blick hin und her, berührt kurz ihren Bogen, welcher entspannt neben ihrem Lager liegt, so wie auf das eingehüllte Päckchen, in dem ihr Schwert schlummert mit dem sie ihm den Geraus gemacht hatte. Nie wieder würde sie es ohne Furcht enthüllen können. Und er wandert hin und her, bis er auf ihrer Jagdbeute haften bleibt.

Die toten Hasen straft sie mit einem vernichtenden Blick, so als ob sie ihr nach ihrem Tod schaden wollten. Sie packt die leblosen Tiere und schleudert sie mit einem wütenden Aufschrei in den Wald hinaus und blickt in die Dunkelheit, wo sich dem Geräusch nach Raubtiere oder Aasfresser an ihrer Jagdbeute gütlich tun. Ihr Blick wird umhüllt von der Dunkelheit der Nacht, als sich ein Wolkenband vor die Monde setzt.

Beinahe panisch schaute sie um sich, und ein ersticktes Aufstöhnen entrang ihren Lippen, setzte sie doch alle Kraft ein, Herrin ihres Körpers zu werden. Sie wollte diese Hütte betreten und doch schien sie etwas daran zu hindern. Erschreckt von dem leisen Laut ruckte der Mann hoch und griff unweigerlich zu seinem Stab, welcher neben seinem Nachtlager lag. Er hat einen wunderschönen Körper, war ihr erster Gedanke, und sie starrte ihn mit großen Augen an. Alles in ihr schrie danach ihn jetzt und hier besitzen zu wollen, doch war sie wie gelähmt.

Bruchteile von Sekunden vergingen, während sich seine Haltung ein wenig auflockerte, als er auf die erbärmlich zitternde Gestalt in der Tür schaute. Sein Gesicht entspannte sich kurz, um dann einen fragenden Ausdruck anzunehmen. Mit zusammengekniffenen Augen trat er vorsichtig auf die zierliche Gestalt zu und griff vorsichtig nach dem Leinen, welches ihr Gesicht umschloß. Ihre Waffen entglitten ihr, aber sie merkte es nicht einmal.

Unfähig sich zu bewegen sah sie ihn auf sich zukommen. "Komm nur!", schrie es in ihr. Und sie bekamm Angst vor sich selbst. Ihr Finger schienen sich ins Holz zu bohren, so fest krallte sie sich an den Rahmen, und sie wußte, daß sie einen fürchterlichen Anblick bieten würde. Seine freie Hand näherte sich ihrem Gesicht, und sie wollte aufschreien "Laß das!", doch ihre Stimme brachte nur ein heiseres Keuchen hervor, als seine Hand den Verband berührte.

Seine Finger faßten den schmutzigen Stoff und er löste die Bandage, während seine Augen immer größer wurden. Sie zitterte unter dem Blick. Beschämt dachte sie daran, was sie für einen Anblick gebieten würde. Häßlich! Vernarbt!

Vorsichtig löste er den Verband ihres Gesichtes, und seine Waffe sank herab, während er die blanke makellose Haut enthüllte. Sein Blick war von Schrecken und Bewunderung gleichermaßen gefüllt. Es war eine wunderschöne Elfe, die vor ihm stand, aber sie machte einen furchbaren Eindruck. "Komm", flüsterte er leise, während er ihr beim Gehen half. Und sie fühlte sich beinahe knöchern an. Und blaß war sie. Er dirigierte sie langsam näher an die Glut, während sie ihn mit großen ängstlich wirkenden Augen anstarrte.

Ihre Glieder hatten ruckartig nachgelassen, als er sie hereingebeten hatte, und seine Hände lagen sanft und warm auf ihren Schultern. Alles an ihm schien zu Glühen. Alles in ihr schien zu brennen. Sie fühlte das unglaubliche Verlangen in sich, und es jagte ihr Angst ein.

Ganz plötzlich war es ihr klar geworden! Ängstlich blickte sie ihn an. Sie wollte ihm nicht weh tun, aber sie wußte tief in ihrem Innern, daß es passieren würde. Er würde ihrer Gier zum Opfer fallen und er war so liebevoll zu ihr.

Nichtsanhnender Narr! Verschwinde von hier! Ich bin gefährlich!

Wie gern hätte sie ihm dies entgegengeschleudert, aber sie konnte ihn nur anstarren. Sie spürte das Leben in seinen Adern pulsieren. Ihr Blick haftete sich an seinem Hals fest. Wie oft hatte sie diese Bißmale sehen müssen, während sie diesen gräßlichen Untoten gejagt hatte. Und sie spürte es. Sein Fluch waren nicht nur Worte gewesen. Sein Fluch nahm Gestalt an.

"Töte mich!", hörte sie sich mit gebrochener Stimmer röcheln. Sein Blick wurde starr vor Schreck und er wich einen Schritt vor ihr zurück. Konnte er die Glut in ihrem Innern jetzt erkennen? Sah er die Pein, die in ihr brannte? Wüßte er, was zu tun war? Bitte gib, daß er es weiß, flehte sie innerlich, doch sein Gesicht nahm sofort wieder einen furchtbar fürsorglichen Ausdruck an.

"Na na!", sagte er mit warmer melodischer Stimme. "Eine so junge und hübsche Dame sollte nicht nach ihrem Tod flehen", flötete er ihr fröhlich entgegen. Merkte er denn nicht, daß er in Lebensgefahr war? "Warum nur habt ihr Euer wundervolles Antlitz verhüllt?", tadelte er sie liebevoll und strich ihr über die Wange. Sie glaubte das Blut durch seine Adern rauschen zu hören. Sie lehnte sich an diesen Arm und genoß die Berührung. Leben! Mit welch perfidem Fluch hatte er sie belegt? Langsam drehte sie ihren Kopf in der schützend ausgestreckten Hand, die sie nun selbst sanft an seinem Handrücken erfaßt hatte und gegen ihr Gesicht drückte.

Sie konnte spüren, wie sich ihre Zähne langsam aus dem Kiefer stemmten. Spitzer und spitzer fühlten sie sich an, während sich ihr Mund seinem Puls näherte. In ihren Ohren rauschte es, als ihre Lippen seine Hand berührten, doch als das Verlangen gerade übermächtig erschien, entzog er ihr seine Hand.

"Verzeiht, junge Dame, aber es schickt sich nicht, wenn ich Eure Not derart ausnutze", lächelte er sie an. "Ihr seht müde und erschöpft aus. Ihr solltet erst einmal schlafen". Ihre Augen starrten ihn starr an und sie merkte, wie sich ihr Mund in der aufkeimenden Gier langsam öffnete. In ihr tobte ein furchtbarer Kampf zwischen der Gier und dem Rest ihres Verstandes. Und auf einmal konnte sie seinen erschreckten Gesichtsausdruck erkennen. Mit einer hastigen Bewegung rettete er sich nach hinten, während sie hinter ihm her drängte.

Sie wollte sein Blut! Und sie würde es bekommen. Jetzt.

Seine Hand fuhr unter sein Hemd, und sie konnte den süßen Geruch seiner Angst spüren. Jetzt gehörte er ihr.

Niemand würde ihn mehr retten können...

Ihr Blick löst sich aus der Starre und sie schaut auf den Körper, der nur zwei Meter von ihr entfernt liegt. Ganz leicht kann man erkennen, wie sich die Decke hebt und senkt. Sie kann es beinahe spüren, wie das Leben in seinem Leib pulsiert.

Ihre Zunge fährt über ihre Lippen und streifen über den Rinnsal in ihrem Mundwinkel. Hastig nimmt sie ein kleines fleckiges Tuch hervor und befeuchtet es mit ihrer Zunge. Wie so oft wischt sie die Spuren fort, die ihr Mahl hinterlassen hat. Dann fällt ihr Blick wieder auf die schlafende Person, welche so arglos neben ihr liegt...

Niemand würde ihn mehr retten können...

Niemand wird mich mehr retten können...

Eine winzige Stimme in ihrem Kopf versuchte sie von dieser Tat abzuhalten, doch der Blutrausch brannte in ihrem Körper und duldete kein Gewissen. Mit einer wilden Bewegung sprang sie vor, den Kiefer weit aufgerissen und nur noch den Blick auf die Ader gerichtet, welche wild an seinem Hals pochte, als plötzlich etwas völlig anderes ihr Blickfeld vereinnahmte und sie wie an einer unsichtbaren Mauer abprallen lies.

Der winzige Anhänger in seiner Hand schien unablässig schmerzende Strahlen in ihren Körper zu pumpen, während er sich ihr vehement entgegenstellte. "Amptapas, Glanz des Geistes, vertreibe diese Kreatur! Amptapas steh mir bei! Hinfort mit Dir!", hörte sie ihn unablässig intonieren. Ihr Inneres bestand nur noch aus Wut und Schmerzen, doch sie konnte nicht gegen diese Macht ankämpfen, die sie zurückhielt. Knurrend versuchte sie nach ihm zu schnappen, hilflos kreischend versuchte sie fortzukommen, doch der Glanz schien jede Faser ihres Körpers zu verbrennen. Der Mann vor ihr, die Möbel um sie herum, alles schien davonzufließen nur noch das winzige Symbol füllte ihr Sichtfeld aus und brannte in ihrem Hirn, bis sie merkte, daß er sie geschickt umkreist hatte, so daß er nach seiner Waffe greifen konnte.

"Raus!", schrie es in ihr. Die Tür schien hinter einem gewaltigen Schild versteckt zu liegen, welcher ihr die Sicht nahm. Doch dann sah neben sich das Fenster.

Mit lauten Klirren gaben die groben Scheiben nach, als sie hindurchsprang und minutenlang hetzte sie durch den Wald, bis die furchtbare Wirkung wieder nachließ.

Langsam, beinahe bedächtig, beugt sie sich über die schlafende Gestalt neben ihr. Ihr Mundwinkel verzieht sich zu einem Lächeln und ihre Lippen öffnen sich einen kleinen Spalt, während ihre Nasenflügel sich aufblähen. Sein Geruch erfüllt ihre Nase mit anregenden Düften. Sanft beugt sie sich näher an den Schlafenden heran, bis ihre Lippen beinahe das Ohr berühren. Ihre Hand streckte sich langsam der Decke entgegen und zieht sie vorsichtig ein Stück herunter, bis die Schultern frei sind.

Ihr Blick fixiert die pulsierende Ader, und sanft streicht sie über den Hals, das sanfte Pochen durch ihre Fingerspitzen fühlend. Ihr Blick gleitet hinauf. Das Wolkenband wandert langsam fort und gestattet dem Licht der Monde, die Szene zu beleuchten. Der Mann neben ihr ist vom Alter gezeichnet, und man kannt etwas an einer Silberkette um seinen Hals befestigt im bunten Farbenspiel der Monde über ihnen glitzern sehen.

Mit einem abwesenden Lächeln stiert sie hinauf in die Nacht, während ihre Finger vom Takt seines Lebens sanft geschaukelt werden.

Es war schon längst Tag geworden, als sie sich immer noch in der Nähe der Hütte aufhielt. Beinahe wie ein wildes Tier, welches um sein Opfer kreist, so war sie ruhelos in den vergangenen Stunden umhergewandert. So viele Gedanken hatten in ihrem Inneren gewütet und um die Vorherrschaft gerungen. Aber sie hatte auch erkennen können, daß alle Laden der Hütte von ihm geschlossen worden waren, nachdem sie die Flucht angetreten hatte.

In diesem Moment hörte sie das Knarren der Tür und sah ihn in einer braunen Kutte gekleidet aus der Hütte heraustreten.

Ein Priester, natürlich!

Sein Blick strahlte Zuversicht aus, welche aber wie ein Kartenhaus zusammenfiel, als er sie im Licht der Morgensonne nur wenige Meter von der Hütte entfernt stehen sah. Voller Scham wendete sie sich ab, denn sie hatte die ganze Nacht dort unruhig gewartet aber nicht wirklich gewußt, wieso und warum. Und sein Blick zeigte die Abscheu, die er ihr gegenüber empfand, und so stand sie endlose Sekunden dort, bevor seine Stimme die Stille durchbrach.

"Sagt mir, daß es ein Traum war!"

Seine Stirn lag in Falten, während er sie mit einem seltsamen Blick taxierte, die eine Hand an den Anhänger gelegt, mit welchem er sie gestern zur Flucht getrieben hatte, die andere zeigte deutlich das Weiß seiner Knöchel der beinahe krampfhaft umfaßten Waffe.

Ihr Kopf bedeutete eine endlos langsame Bewegung in seine Richtung und ihre Blick war gequält auf ihn gerichtet. Stumm schüttelte sie den Kopf. So sehr nagte die peinliche Scham in ihr. Jahrelang hatte sie selbst Monster wie sie es jetzt war den Geraus gemacht...

Bedrückt kreiste dieser Gedanke nochmals durch ihren Kopf. Ja, sie war jetzt selbst ein Monster. Sie würde töten, sie würde Unschuldige ermorden, sie würde... "Dann", befahl ihr seine Stimme, "sagt mir wieso ihr hier stehen könnt, wo das Antlitz Tesrax auf Euch fällt!"

Etwas an seiner Stimme war seltsam. Es war, als hätte nicht er allein gesprochen, denn seine Stimme hatte so viel Ausdruck und Kraft, daß sie fast glaubte eine Kraft wäre mit ihm. Doch sie bemerkte daß er nur so betont laut gesprochen hatte, weil er sich vor ihr fürchtete. Sie konnte seinen Angstschweiß deutlich auf der Stirn sehen. Auch er sah in ihr nur ein Monster und dazu noch einen Blutsauger, welcher sich am Tage bewegen konnte ohne zu Staub zu zerfallen. Aber es war noch ein anderer Ausdruck in seinem Gesicht. Sah sie etwa Mitleid in seinen Augen? Oder schlimmer noch: Begehren?

Minutenlang standen sie sich so gegenüber. Einer beobachtete den anderen genau, wie zwei Raubtiere, die sich gegenseitig musterten, bevor sie übereinander herfielen. Ein jeder darauf wartend, daß der andere agierte, um den richtigen Gegenschlag durchzuführen.

Sie muß beinahe Lachen, als sie an diesen Moment zurückdenkt. Keiner von beiden wußte überhaupt was er machen wollte, geschweige denn, was er denn nun tun sollte. Doch dann werden ihre Gesichtszüge ernst, und ihr Blick gleitet beinahe eisig zu der Gestalt neben sich.

"Ich fühle mich so elend...", keuchte sie hervor und senkte den Blick. "Was gestern passiert ist", begann sie ihn flehend ansehend, "tut mir unsagbar weh. Ich wollte Euch nichts tun. Wahrscheinlich glaubt Ihr mir nicht", sprudelte sie weiter, "aber ich weiß auch nicht wieso dies passiert ist."

Ihr Blick senkte sich wieder. "Natürlich weiß ich es... Ich bin ein Monster. Ein abscheuliches Monster, dem es nach Eurem Blut dürstet. Verschwindet, solange es nicht zu spät ist. Oder tötet mich! Erweist mir die Gnade diesen Fluch niemals an jemanden weiterzugeben!"

Mit großen Augen starrte er sie an und setzte sich langsamen Schrittes in Bewegung. Mit wenigen Schritten war er direkt vor ihr und sie hob ruckartig den Kopf und schaute direkt in seine Augen, die so viel Mitgefühl ausstrahlten. "Ich bin Eurer erstes Opfer?", fragte er sie mit einem winzigen Zittern in der Stimme. Roh stieß sie ihn von sich und fauchte ihn wütend an: "Ja! Und wenn ihr nicht bald verschwindet, dann werdet ihr keine Zeit mehr haben Euch über mich zu belustigen!"

Erschreckt rappelte er sich wieder auf und strich seine Robe glatt. "Versteht Ihr denn nicht?", begann er in einem flehendem Tonfall, "ihr seid Opfer eines Fluch geworden, doch Ihr habt Euren Willen noch. Ihr seid noch freien Willens und habt ein Gewissen. Ihr seid kein Monster. Vielleicht seid ihr ..."

Er schluckte.

"Vielleicht kann man Euch noch retten?"

"Retten? Ha! Schaut mich an. Ich habe seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen und in meinem Innern brennt das Verlangen nach Blut", blaffte sie ihm entgegen und spürte wie sich langsam die Zähne aus dem Kiefer schoben, während sie von diesem abscheulichen ... köstlichen Lebenssaft sprach. "Lauft, solange ihr noch könnt", flehte sie ihn an. "Bitte", wimmerte sie mit weit genug geöffneten Lippen, daß er sehen konnte wie ihr Gebiß sich wieder verändert hatte, doch er faßte nur sein Amulett und trat ihr entgegenm, doch seine Stimme zitterte als er sie zurückzudrängen versuchte.

Wütend über sich und auch über seine Dummheit stieß sie ihm mit aller Kraft von sich. "Flieht!", schrie sie ihn an. Doch seine Stimme erlangte wieder an Kraft. Er war wieder eins mit seinen Kräften geworden, und sie konnte es spüren. Er hielt die Distanz, aber nicht mit der Kraft wie gestern Nacht. Sie konnte nicht näher an ihn heran, aber er würde auch nicht fliehen können.

Die Gedanken rasten durch ihren Kopf. Wie konnte sie ihn vor sich selbst retten? Wieviel Dummheit war in seinem Dickkopf nur angesammelt? Sah er denn nicht ein, daß es nur noch eine Frage der Zeit war, daß er sie nicht mehr von sich fernhalten konnte. Sie hatte seit etlichen Tagen nicht mehr geschlafen und hatte das Gefühl nie wieder Schlaf finden zu können. Konnte er denn nicht spüren, daß er in Lebensgefahr war?

Sie mußte ihm zeigen, wie nichtig er war.

Hastig umrundete sie ihn und rannte auf die Hütte zu, vor der sie ihre Habe in der Nacht hatte fallen lassen. Ein Glücksgefühl der Macht durchströmte sie, als sie ihren Bogen hob. Langsam drückte sie den stabilen Schaft zusammen und lies die Sehne auf Spannung gehen. Andächtig zog sie einen Pfeil aus dem Köcher und erhob sich. Ihr Blick fixierte diesen armseligen kleinen Menschen. Was bildete er sich eigentlich ein? Er wollte ihr Angst einjagen? Sie würde ihm zeigen, was Angst bedeutete.

Liebevoll strich sie den Pfeil einlegend über die Sehne und zog mit einer langsamen Bewegung den Pfeil weit zurück. Die Spitze deutete genau auf sein wild pochendes Herz. Ja, jetzt wußte er was Angst ist. Doch auf einmal kam sie sich schäbig vor. Was tat sie hier? Sie zielte auf einen wehrlosen Menschen? Sie war wirklich ein Monster. Lauf doch endlich weg, flehte sie ihn innerlich an, doch wahrscheinlich war er starr vor Schreck. Ihr Blick irrte umher und erhaschte eine Bewegung. Eine Krähe saß auf einem Ast über ihm. Die Pfeilspitze entsprach folgsam ihren Gedanken und fixierte das Tier.

Als der peitschende Knall beim Priester ankam, war der Vogel bereits tot. Der Pfeil hatte ihn durchfahren und war weit fortgestoben, während sie das Tier beinahe wie in Zeitlupe fallen sehen konnte.

Perfekt! Sie war stolz auf diesen Schuß, denn eine Sekunde später lag das Tier tot vor seinen Füßen. Seine Hände hingen schlaff herunter und sein Mund war zu einem stummen "O" geöffnet. Zwei Augenpaare erforschten das tote Tier, und sie spürte daß sein Bann nicht mehr bestand. Er hatte sein Symbol nicht mehr in der Hand. Er hielt die abwehrende Kraft nicht mehr aufrecht. Von ihren Zähen perlte ein Tropfen ab. Aus dem toten Leib des Vogels schälte sich ein Blutstropfen hervor, und jetzt schien die Zeit nicht mehr alles aufnehmen zu können, was passierte.

Mit hastigen Schritten war sie direkt vor ihm. Sein Blick erinnerte sie an das Kaninchen auf der Schlachtbank und im nächsten Moment hatte sie das Blut des toten Tieres bereits in ihrem Mund. Als sie wieder hochschaute, war er nicht mehr zu sehen. Aber sie brauchte mehr. Mehr von diesem köstlichen Trunk! Mehr Blut! Ihr wurde schlecht bei ihren eigenen Gedanken, doch sie wußte daß sie dazu verdammt war das Blut anderer zu trinken.

Sie hörte das Knallen der hölzenen Tür hinter sich, und wußte daß er sich selbst eingesperrt hatte. Er saß in der Falle. Und sie, das Monster, war draußen. Sie, die niemals schlafen würde, sie, das Raubtier, er, das Kaninchen.

Wie benebelt stierte sie auf die Holzhütte, dann ergriff ihr Geist wieder die Oberhand. Das Kaninchen... Freudig entsetzt stellte sie fest, was sie dachte. Sie verspürte Hunger auf Blut, aber vielleicht mußte es nicht sein Blut sein.

"Das kannst Du mir nicht antun!", fleht sie den alten Mann an. Sie dreht ihn hastig auf den Rücken, doch sein Gesicht ist erschlafft. Es ist steinalt und sie kann in dem Gesicht immer noch die jugendlichen Züge des Priesters erkennen. "Laß´ mich nicht allein!", schreit sie und schlägt verzweifelt auf seinen Brustkorb, bevor sie auf ihn niedersinkt. Vorsichtig küßt sie ihn auf die Lippen. "Bitte... Was soll jetzt aus mir werden?"

Ihre Gedanken kreisen, und Bilder aus der Vergangenheit suchen sie zahlreich und unkontrolliert heim, während sie nur wenige schmerzvoll festhalten kann.

Sie und der Priester saßen lachend in der Holzhütte und über dem Feuer brieten einige Tiere, während der Becher vor ihr gefüllt war. "Ja, ich hatte mir wirklich fast in die Kutte gemacht, Lanaria", rief er beherzt. "Und ich hätte wahrscheinlich tagelang schrubben müssen, damit das wieder raus geht!". Sie lachten gemeinsam über diesen derben Scherz und sie nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher. Ein wenig von der Flüssigkeit rann über ihre Lippen und schickte sich an ihr über das Kinn hinauszulaufen, als er ein Tuch hervorholte und ihr den Mund abwischte. "Du solltest wirklich aufpassen. Das gibt häßliche Flecken". Glucksend lachte sie und ergriff seine Hand und näherte sich seiner, woraufhin er plötzlich still dasaß, als ob ihm jemand eine Tarantel vorgeworfen hatte. Doch sie küßte sein Handgelenk sanft und entließ seine Hand, wobei sie sein kleines Tuch sanft festhielt. Die Spannung fiel blitzartig von ihm ab und er setzte sein Lachen fort.

Ihre Hände umfassen das kleine Tuch, welches sie zwischen den Fingerspitzen rieb. Sie hatten sich geliebt. All die langen Jahre hatten sie tiefe innige Liebe zueinander empfunden. Vom ersten Moment an, als sie ihn in der Hütte hatten schlafend liegen sehen. Und jetzt ist er einfach gestorben. Wieso jetzt? Wieso hier? Innerlich schreit sie vor Wut, doch äußerlich beben nur ihre Lippen und ihre Hände ballten sich, während sie sich eng an ihn legt.

"Untote Kreatur", schrie der alte Dorfpriester hinter ihr her. "Sie hat den bösen Blick! Wir müssen sie verbrennen!", ereiferte er sich. Damals hätte sie beinahe laut aufgelacht über die Ironie, denn anders hatte sie selbst Jahre zuvor auch nicht anders gehandelt. Sie hatte alle über einen Kamm geschert und irgendwann überlegte sie, ob sie nicht selbst mal Unrecht getan hatte, als sie untote Wesen vernichtet hatte. Doch jetzt waren sie mit Mistgabeln und Fackeln hinter ihr her und sie konnte nur von Glück sagen, daß sie nicht schnell genug waren um sie tatsächlich aufzuhalten.

Stunden danach saßen sie wieder zusammen und lachten darüber, was sie erlebt hatten. Und dabei hatten sie doch die Hühner und Karnickel ehrlich erkauft. Amptapas sei Dank war er nicht direkt in den Zorn der Dorfbewohner geraten, sondern hatte sich heimlich davonsteheln können, während sie ihr hinterherrannten. Aber sie war zu ausgehungert gewesen und hatte sich nicht weit genug entfernt. Als sie das erste Tier tötete und sein Blut trank, hatte sie leider ein Pärchen übersehen, welches gerade ein Schäferstündchen im Korn abhalten wollte.

Was die wohl ihren Eltern anschließend zu erklären hatten? Lachend dachten sie an den Bauern und Schmied deren Kinder sich unverheiratet einander genähert hatten und halbnackt in Dorf gerannt waren um von ihrer Entdeckung zu berichten. Bestimmt warden sie in diesem Moment für ihre Taten gestraft oder in eine Ehe getrieben worden, für die sie noch zu jung gewesen waren.

"Wahrscheinlich hatten sie einen Stall voll Kinder und Kindeskinder", spricht sie mit bitterem Ton zu dem Toten neben sich. "Du hast immer an mich gelaubt, Mariim, doch hast Du den Fluch niemals von mir nehmen können."

Sanft streichelt sie das graue Haar des Mannes neben sich und haucht ihm beinahe unhörbar ins Ohr: "Ich liebe Dich!"


top   07.11.2001 by Zuul