Zuul´s Charaktere und ihre Abenteuer
Meridit Langharr


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Dunkle Schatten huschen unter dem kleinen Segelboot durch das Wasser, und scheinen es mit großer Kraft gegen den Wind über das Meer zu treiben. Nur eine junge Elfin (s. Bild) sitzt an den Tauen der Schaluppe und läßt das Boot allein seinen Weg finden. Die Gischt peitscht immer wieder Perlen salzigen Wassers in das angestrengte Gesicht. Jetzt hatte sie dem Fisch schon drei Harpunen in den Leib gejagd, doch er besaß immer noch genügend Kraft, um das Holz in den Planken gefährlich Knarren zu lassen. Doch daran verschwendete sie keinen Gedanken. Beinahe liebevoll hält sie die Harpune in der Hand, um sie dann mit einem Aufschrei ins Wasser zu stoßen.

Das Wasser färbt sich rot von dem erneuten Treffer, doch auch dieser hatte ihn noch nicht die letzte Kraft genommen. Eine einzige Harpune lag noch in dem kleinen Boot, das von vier straff gespannten Leinen, die nun in das Wasser getaucht waren, mitgerissen wurde. Wenn die Letzte auch nicht den Todesstoß bedeutete, so würde sie alle fünf Leinen kappen müssen.

Um sie herum schien die Welt zu versinken, als sie dieses letzte Holz in die Hand nahm. Es gab nur noch den dunklen Schatten unter dem Wasser und sie. Die Zeit schien die Zähigkeit von Sirup zu erlangen, als sie die letzte ihrer Jagdwaffen in das Wasser hinabstieß. Scheinbar langsam tauchte der Schaft in das Wasser und nahm Handspanne um Handspanne seinen Weg in das Grau bis er auf etwas hartes stieß und es durchbohrte. Plötzlich schien die Zeit an diesem Ort nachzuholen, was sie gegenüber der umliegende Zeit versäumte. Holz knirschte, das Ruder schlug um, ein Seil riß mit einem peitschenden Knall, zwei andere rissen die Pflöcke aus der Wandung, die Elfin wurde von dem gewaltigen Schlag aus dem Boot geschleudert und dort begann das Meer unter den Bewegungen eines gewaltigen Meeresbewohners zu kochen.

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Kurze Zeit später waren die Wogen geglättet und das Meer vom Blut dunkel gefärbt. Nur ein leises Zucken in der letzten Leine zeugte von Leben unter des Wasseroberfläche. Und dann stieß auch schon eine Hand durch das Wasser und zog der Rest der jungen Elfin an die Wasseroberfläche, wo sie erst einmal nach Luft rag und Blut und Wasser erbrach, bevor sie sich weiter entlang der Leine auf das Boot zog. Vor ihren Augen begann die Welt sich zu drehen und mit aller Gewalt hielt Schwärze einzug in ihren Verstand.

Es mag nur einen kurzen Moment gedauert haben, doch sie hatte das Bewußtsein verloren und war hart auf die Sitzbank aufgeschlagen. Zu den vielen Schrammen auf der Haut kam noch eine Platzwunde über dem rechten Auge hinzu, die von dem Salz fürchterlich brannte. Dennoch ignorierte sie den Schmerz und versicherte sich, daß der Fang noch da war. Und das war er. Ein stolzer Schwertfisch, der ihr fast das Boot zerstört und ihr Leben gekostet hätte, schwamm bäuchlings an der Wasseroberfläche. Dieser Fisch würde ihr viel Geld bringen und auch reichlich Nahrung für die kommende Zeit.

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An der Küste angekommen war die Sonne schon wieder augegangen. Ihre Augen tränten vor Schmerz, denn bei dem Aufprall war sie so unglücklich gefallen, daß trotz des Schutzes in ihrer Kleidung eines der dunklen Gläser geborsten war. Wahrscheinlich würden das Auge wieder tagelang eitern, doch jetzt hatte sie keinen Ersatz für die Brille bei sich und mußte das Boot hineinbringen bevor es noch heller wurde.

Es war eine fürchterliche Arbeit das Boot an den Anleger zu schiffen, und noch viel schwerer war es den Fisch bei dieser Grelligkeit zu vertäuen damit er beim Hochziehen nicht abrutschte und in das tiefe Hafenbecken fiel, wo er vielleicht wieder versank.

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Am abend zählte sie die Münzen, die sie für das Tier bekommen hatte. Eigentlich war es ziemlich karg ausgefallen, beachtete man doch, daß die Schwertfische hier selten gefangen wurden. 60 Taxmen hatte ihr das Fleisch gebracht, und für das knöcherne Schwert hatte sich niemand gefunden. Anschließend legte sie sich zurück und legte sich einen in Kamillesud getränktes Tuch auf die Augen, welche so rot waren, als hätte sie nichts anderes getan als stundenlang in die Sonne zu sehen.

Ausgelaugt von der Anstrengung der letzten drei Tage glitt sie langsam in einen traumlosen Schlaf, der sie erst am Mittag des folgenden Tages erwachen ließ. Ihr erster Griff ging sofort zu der Brille, die auf dem Tisch lag. Erst in diesem Moment erinnerte sie sich daran, daß ja eines der Gläser zerborsten war. Mit zusammengekniffenen Augen ging sie zu dem Sekretär und öffnete das oberste Schubfach. Dort lag noch eine zweite Brille, die wie die erste dunkle Gläser besaß. Erst als sie diese aufsetzte fühlte sie sich wohler. Jetzt war die gleißende Helligkeit der Mittagssonne ausgeschlossen.

Der Rücken schmerzte aber ebenso wie die Augen kribbelten, war sie doch vor Erschöpfung auf dem Stuhl eingeschlafen. Außerdem juckte das Salz in der Kleidung furchtbar am Körper. Mit steifen Fingern löste sie die Lederschnüre ihres Kleides und atmete auf, als diese auf dem Boden lagen und nicht mehr am Körper klebten. In die kleine Wasserschale neben dem Bett tauchte sie einen Schwamm ein und begann sich mit dem kühlen Naß den Körper abzuwaschen. Es war himmlisch nach drei Tagen in den gleichen Klamotten endlich wieder kühles salzfreies Wasser auf der Haut zu spüren.

So von der Anstrengung der letzten Tage gereinigt, legte sie sich noch einmal auf das Bett und schlummerte erneut ein.

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Diesmal war es ein unruhiger Schlaf, der sie mit abstrakten Ängsten und wilden Träumen malträtierte. Schweißgebadet schreckte sie hoch. Das Zimmer war immer noch hell erleuchtet von den Mittagsstrahlen, doch sie hatte das Gefühl, sie hätte ewig geschlafen. Draußen waren Geräusche zu hören, die nicht in das normale Bild paßten. Kinder schrien, Frauen schluchzten und kein Händler prieß seine Waren an. Etwas war geschehen, als sie geschlafen hatte. Und erst jetzt hörte sie, daß noch immer Waffen klirrten. Hastig striff sie sich ihr Kleid über als der Lärm vor ihrem Haus anschwoll. Mit fliegenden Fingern band sie die kleinen Schnüre ihres Kleides, als die Tür mit lauten Bersten aufflog.

Ihr Kopf ruckte herum, und sie sah in ein eisiges Augenpaar. Der Rauch der brennenden Häuser wurde vom Wind an der hünenhaften Gestalt vorbei in den Raum gedrückt. Von dem Anderthalbhänder in seiner Hand troff frisches Blut auf den Teppich. Für einen Moment war sie wie gelähmt. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Nur eine Armlänge neben ihr lehnten zwei frisch gewetzte Harpunen an der Wand, und zum Zaubern war anscheinend nicht mehr genug Zeit. Der gewaltige Ork war bereits über die Türschwelle getreten, und sie maß ihre Chancen hier als ziemlich schlecht, denn wenn dieser Gegner wäre schon bei ihr, bevor sie eine Waffe ergreifen könnte.

»Verdammte Hure!«, donnerte die rauhe Stimme durch den kleinen Raum. »Du hast meinen Bruder ermordet und dafür wirst Du bezahlen. Aber ein schneller Tod wäre für Dich zu wenig.«

Mit diesen Worten kam er weiter auf sie zu, und nur noch zwei Schritte trennen sie voneinander als er abermal stehenblieb. Seine kalten Augen, die sie nie vergessen hatte, musterten sie von oben bis unten und wieder hinauf, bis er wieder in ihre Augen sah. Es war ein Blick, der einem das Blut in den Adern gefrieren lassen könnte, und unwillkürlich wich sie ein Stück zurück.

In diesem Moment sprang er in ihre Richtung, und in einem Anflug von Panik griff sie zu der Harpune neben sich. Doch diese Bewegung führte sie nicht zuende, denn er war längst gegen sie geprallt und riß sie allein durch die Wucht seines Auftreffens von den Beinen. Schmerzend traf die Kante ihres Sekretärs gegen ihren Rücken und das Tintenfaß ergoß sich auf die weißen Blätter. Wie schwarzes Blut rann sie über die Fläche, als ein zweiter Aufschlag ihre Oberfläche erbeben ließ.

Meridits Arme hielt dieses Monstrum mit der Kraft eines Schraubstock fest. Ihm schien es keine Mühe zu bereiten ihren beiden Handgelenke mit nur einer Hand zu umfassen und zusammenzuquetschen. Die Finger begannen schon zu kribbeln, und ihr Rücken schmerzte fürchterlich. Sie rang nach Luft und bei jedem flaschen Atemstoß schmerzte es irgendwo in der Seite. Wahrscheinlich war eine Rippe gebrochen, und zu allem Überfluß drang der stinkende Atem des Ork durch ihre Nasenflügel. Sie glaubte sich übergeben zu müssen, doch war der Schmerz in der Seite zu groß. Brutal riß er ihr das lederne Kleid vom Leib, und die Schmerzwelle, die ihren Körper von der Linken durchflutete, gnädigte ihr endlich die Bewußtlosigkeit.

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Als sie erwachte, waren auch ihre Schultern Quelle tauben Gefühls. Ihre Arme waren noch oben gerichtet, wo sie sich mit Lederschnüren an den Handgelenken gefesselt an einem der Fischhaken eingehangen wiederfand. Ihre Füße berührten gerade den Boden, so daß sie auf Zehen etwas von der Belastung der Arme nehmen konnte. Doch reichte es beileibe nicht dafür aus, daß sie sich aus dem Haken befreien konnte.

Die ganze Luft war erfüllt von kaltem Brandgeruch, und den Stimmen der Menschen und Elfen draußen. Ihre Wohnung war grundlegend verwüstet worden, doch sie selbst lebte noch. Leben? Ja, aber der ganze Körper schmerzte, als sei sie unter eine Kutsche gekommen. Die Kälte, die durch die zerborstene Tür hereinkamh, kroch ihr durch den ganzen Leib, und von ihrer Kleidung hingen nur noch lose Fetzen herab. Die Beine klebten vom Mißbrauch, an den sie sich nicht mehr erinnern konnte, doch sprach die Tatsache allein schon Bände, daß sie nicht nur einmal mit Gewalt genommen worden war.

Sie wollte um Hilfe schreien, doch stach die Seite bei dem Versuch tiefen Einatmens schon so sehr, daß sie es aufgab. Bestimmt würden sie hier auch so bald finden. Die Bürgerwehr, oder was von ihr übrig war, mußte eigentlich schon unterwegs sein, um die Überlebenden zu finden. Bei dem Brandgeruch überlegte sie, daß irgendwas seltsam war, doch sie kam nicht darauf, was es war.

Es schienen Stunden zu vergehen, doch niemand tauchte auf. Die Sonne war schon lange untergegangen, und ihre Beine waren bereits verkrampft und schmerzten. Die Hände brannten von den Momenten in denen ihre Beine versagt hatten und sie hilflos am Haken hing und das Blut sich in den Finger staute. Sie bekam Angst, daß die Ork den ganzen Ort geschleift haben könnten, weil sie einen einzigen von diesen Viechern getötet hatte.

Mit unglaublicher Kaftanstrengung versuchte sie sich auf die Zehen zu drücken und den Körper noch weiter zu strecken, aber es gelang ihr nicht die Riemen über die Hakenspitze zu streifen. Verzweifelt sank sie in sich und die Hände begannen sofort wieder zu pochen. Wenn sie jetzt noch lange hier hängen blieb, dann würden sie nie wieder zu gebrauchen sein. Vielleicht würde sie sogar hier verhungern, wenn niemand sie hier fand. Aufkeimende Panik versuchte von ihr Besitz zu ergreifen.

Jetzt bloß nicht aufgeben. Was könnte man tun um aus dieser Situation zu gelangen? Die Haken hingen an einer stählernen Stange quer durch den Raum. Doch der Boden entlang der Stange war freigeräumt worden, so daß sie keine Chance hatte sich auf irgendwas draufzustellen, wenn sie den Haken und sich daran entlanggehangelt hätte. Dann blieb nur noch eines. Sie mußte Halt von oben bekommen. Mit furchtbaren Schmerzen begann sie ihren verzweifelten Klimmzug, der nur durch die Schnüre gehalten wurde. Erste Bluttropfen rannen aus der Haut und die Finger begannen schon eine dunkle Färbung anzunehmen. Gepeinigt schaffte sie es ihre Beine anzuwinkeln, doch dann versagten sie ihr abermals den Dienst und zuckten von Krämpfen geschüttelt Richtung Boden. Übelkeit überkam sie und versuchte sie erneut in eine Ohnmacht zu ziehen, doch sie stemmte sich mit alles Gewalt dagegen.

Keuchend schaffte sie es wieder auf den Fußspitzen zum Stehen zu kommen und Speere des Schmerzes durchbohrte ihren Körper an den geschundenen Stellen. Sie mußte es noch einmal versuchen, denn sonst würde sie hier elend verrecken. Erneut zog sie die Beine vom Boden und versuchte ihren Schwerpunkt so zu verlegen, daß sie diese über die Stangen hängen konnte. Es gab ein Knacken in ihrer Linken, der davon zeugte, daß die Rippe noch nicht gebrochen ware und die jetzt nachholte, so daß ihr linker Arm fast taub von Schmerz wurde. Aber sie wollte nicht aufgeben. Pendelt verlagerte sie ihr Gewicht, und die Schulter des tauben Arms kugelte sich dabei aus. Der umwillkürliche Schmerzenslaut, den sie ausstieß rief nur noch eine weitaus schlimmere Pein in ihrer Seite aus, doch sie spürte, daß sie mit dem rechten Fuß die Stange berührte.

Jetzt ging alles wie von selbst. Ihr Überlebensinstinkt schien jeglichen Schmerz abzuschalten und sie schaffte es sich mit ihrer Ferse gerade lange genug festzuhalten, um die Riemen über den Haken zu wuchten. Für einen Bruchteil einer Sekunde schien sie so in der Luft zu verharren, doch die Schwerkraft meldete sich mit Urgewalt zurück und sie stürzte zu Boden, wobei es wieder häßlich knirschte und sie erneut um ihr Bewußtsein kämpfen mußte.

Es schienen Ewigkeiten zu vergehen, bis sie sich auf dem Boden so weit gedreht hatte, daß sie auf dem Bauch lag. Ihre Beine zitterten von der Anstrengung und die Waden waren hart wie die Holzbohlen auf denen sie lag. Die Platzwunde über ihrem Augen hatte wieder angefangen zu bluten und ihre Hände fühlte sie wie zwei Fremdkörper. Sie mußte diese verdammten Fesseln loswerden, sonst würden die Hände doch noch unbrauchbar werden. Tränen rannen ihr über die Augen, wie sie sich in eine auf allen Vieren hockende Stellung hochschob. An Laufen war noch gar nicht zu denken, also kroch sie zu der Zimmerecke, an der die Harpunen standen.

Ihre Knie und Ellbogen bluteten, als sie es endlich schaffte dort anzukommen. Sie hatte schon längst begonnen ihre letzten Kraftreserven anzuzapfen, als sie sich hierher vorgearbeitet hatte und um so schlimmer war es, den Oberkörper anzuheben um zu der geschliffenen Spitze zu gelangen. So prallte sie auch mit dem Händen dagegen, als sie versuchte das störende Etwas zu zerschneiden und riß sich noch eine tiefe Wunde in die Hand, bevor sie es endlich schaffte.

Es dauerte einige Minuten, bis sie wieder so weit war, daß sie sich auf die Füße stellen konnte. Der Anblick war erschütternd. Ihre offen liegende Barschaft war verschwunden und die Einrichtung größtenteils verwüstet. Hastig entfernte sie die Restes eines Faches ihres Sekretärs und hob die Holzplatte darunter an. Das Zauberbuch war noch da! Sie nahm es an sich und suchte ihren Utensiliengürtel, in den sie es hineinsteckte. Als sie sich ihn umbinden wollte, fiel ihr erneut auf, daß sie nur noch Fetzen am Leib trug. Nach einigem Suchen fanden sich ein Rock und eine Weste, die noch unversehrt waren. Alles andere war in tausende kleiner Schnipsel gerissen oder geschnitten worden. Wasser zum waschen war keines mehr im Haus, also streifte sie sich Rock und Weste so über und improvisierte ein Unterhemd aus zerrissenen Laken, damit das Leder nicht so sehr auf der Haut scheuerte. Ihre Brille nahm sie aus reiner Gewohnheit an sich und legte sie in die kleine Holzschachtel, die sie in ihrem Gurt aufbewahrte. Erst jetzt trat sie vorsichtig zur Tür und spähte hinaus.

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Es war ein schauerlicher Anblick, den das kleine Dorf bot. Die Häuser waren - bis auf ihres - alle niedergebrannt worden, und die verkohlten Leichen derer, die sich nicht mehr retten konnten, verpesteten die Luft. Hier und da schwelten noch kleine Brände vor sich hin, und sie konnte keinen Überlebenden hier finden. Beim Tritt von der Treppe versagten ihr beinahe die Beine ihren Dienst, doch sie zwang sich weiterzugehen.

Sie folgte dem Weg und sah auch weiterhin nur verkohlte Ruinen. Es war, als ob man durch ein Dorf der Toten schreite. Nirgendwo war ein anderer Laut als das Knacken abkühlenden Steins zu hören. Alle ihre Freunde waren wegen ihr gestorben. Diese Erkenntnis traft sie wie ein Blitz und jagte ihr die Tränen in die Augen.

Den Rückweg trat sie auf einem anderen Weg an, der sie durch die andere Hälfte des Dorfes führte. Auch hier bot sich ihr immer wieder das gleiche Bild, doch auch hier stimmte etwas nicht. Irgendwas war wieder verkehrt, aber sie kam nicht darauf. Erst jetzt schreckte sie aus ihren Gedanken hoch. Dort war doch ein Laut zu hören gewesen? Ganz sicher war sie sich nicht, als sie in die vermeintliche Richtung humpelte, doch mit jedem Schritt wurde Gewißheit daraus.

Es war nicht eine Stimme, sondern hunderte. Und es waren ausschließlich die Stimmen der Frauen, die dort weinten. Jetzt wußte sie, was sie gestört hatte. Unterwegs hatte sie nur die Leichen von Männern und Kindern gesehen. Es traf sie wie ein Schlag, als sie um die Ecke bog. Die Frauen, die sich auf dem großen Platz zusammengefunden hatten waren größtenteils nur noch durch den Schmutz der Asche bedeckt. Wahrscheinlich hatten sie diese auch mißbraucht, doch der größte Schock erwartete sie erst jetzt!

Kaum daß eine der Frauen sie sah schrie sie wie eine Furie auf, und auch die anderen Köpfe ruckten herum. Haß spiegelte sich in ihren Augen wieder, und dieser Haß trieb sie wie einen blutrünstigen Mob in ihre Richtung. Es dauerte einen Moment, daß Meritid begriff, daß die Orks den Frauen erzählt hatten, daß sie nur gekommen waren, weil einer der ihren durch ihre Hand getötet worden war. Doch als sie es begriff war es schon fast zu spät.

Kreischende Furien jagten hinter ihr durch die Stadt, und sie floh so schnell sie nur konnte. Doch das war im Vergleich zu den anderen Frauen erschreckend langsam. Und dennoch gelang es ihr zum Wasser zu gelangen.

An den Anlegestellen befanden sich leider keine Boote mehr. Sämtliche Stricke waren durch Schwertstreiche oder Axthiebe durchtrennt worden, und man konnte noch ein paar der dunklen Körper gegen das Mondlich im Wasser treiben sehen. Ihr blieb nur die Flucht in das Wasser. Der beherzte Sprung tat ihr sofort wieder leid, denn ihren Vorsprung brauchte sie nun fast völlig dafür auf wieder zu Luft zu kommen, die ihre gebrochenen Rippen wie Dolche ihren Leib traktierten.

Mit kurzen Zügen, die möglichst wenig schmerzten, schob sie sich durch das Wasser, und sie konnte von Glück reden, daß die anderen nicht so exzellent in der Nacht sehen konnten, denn obwohl viele mit in das Wasser sprangen, wurde sie nicht entdeckt.

Sie versuchte sich auf dem Rücken liegend möglichst weit aufs Meer hinaus zu bringen, um dann später an anderer Stelle wieder an die Küste zu gelangen.

Ihre Haut war rauh von den Stunden im Wasser, als sie kurz vor dem Sonnenaufgang Richtung Land schwamm. Die Strömung half ihr die Strecke in geringer Zeit zurückzulegen, und lange bevor das schmerzende Licht flutete, schleppte sie sich mit wackeligen Knien an Land. Gegen die Müdigkeit ankämpfend arbeitete sie sich den ganzen Tag an der Küste entlang bis ihr am Abend einfach die Beine unter dem Körper wegknickten.

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Die ersten Sonnenstrahlen weckten sie mit grausamer Gewalt, denn ihre Brille war bei dem Sturz von der Nase gefallen und lag zwei drei Armlängen weiter im Sand. Mittlerweile schien sie nur noch aus schmerzenden Stellen zu bestehen, und sie schwor grausame Rache. Rache für die Ermordung ihrer Freunde und die Schmach, die sie ihr bereitet hatten.

An den folgenden Tagen wanderte sie weiter im Schatten des Waldrandes, und der Küstenverlauf entzog sich schon seit dem gestrigen Morgen ihrer Kenntnis, als sie das Wrack eines Fischerbootes entdeckte. Von der Strömung war sie an den felsigen Rand gedrückt worden, wo es zur Unbrauchbarkeit zerschandelt war. Doch so unbrauchbar war es auch wieder nicht, fanden sich doch ein paar nützliche Dinge an Bord. Harpunen und Seile waren noch gut vertäut vorhanden und selbst in der Kiste vor dem Ruder befanden sich noch ein paar wichtige Utensilien und Trockennahrung für ein ganze Woche.

Nachdem sie im Heißhunger zwei Portionen heruntergeschlungen hatte, kramte sie weiter darin herum und sortierte aus, was sie mitnehmen konnte. Der grobe Stoff des Segels würde einen ausreichenden Mantel ergeben und die Nacht nicht mehr so kalt sein lassen. Das Messer zum Kappen der Taue bei zu kräftigen Fischen war auch blank poliert und sie wickelte es in einen Stoffstreifen ein, damit sie es gefahrlos mit sich nehmen konnte.

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In der folgenden Zeit wanderte sie immer weiter von der Küste fort in das Land hinein. In keinem Ort hielt sie sich allzulange auf, und auf ihrem Weg lernte sie auch andere Leute kennen, die selbst in keinem Ort ansässig waren und ihre Situation niemals hinterfragten. Nun waren schon fast 2 Taiai vergangen und sie hatte sich schon daran gewöhnt, daß sie seitdem noch nicht einmal wirklich frische Sachen am Körper getragen hatte. Doch eines machte ihr Sorgen. Ihre Frauensache war ausgelieben und sie fühlte sich ständig ausgelaugt.

Auch nach einem weiteren Taiai war immer noch nichts eingetreten und körper begann schon die ersten feinen Rundungen auszubilden. Jetzt war klar, daß sie einen Balg von diesem Tier in ihrem Körper hatte. Und alle ihre Kenntnisse würden ihr nichts nutzen dieses Geschöpf wieder loszuwerden.

Sie quälte sich bis zum Schluß mit dem Gedanken an dieses verhaßte Kind, daß sie nicht geschafft hatte loszuwerden. Es hatte sich so gründlich festgesetzt, daß selbst schockheiße Bäder nichts bewirkt hatten. Die Geburt brachte sie wie unter dem Mantel von Drogen hinter sich und sah, daß das Kind eher einem Ork als einem Elfen glich, als man es ihr in den Arm legte. Und obwohl sie es verflucht hatte und nicht bekommen wollte, konnte sie es nicht ertränken, wie sie es eigentlich vorhatte. So legte sie es in der nächsten Stadt durch die sie kam auf die Stufen eines der Tempel und scherte sich nicht mehr darum, was mit ihm geschah.

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Ihr selbst war es ja auch nicht besser ergangen. Damals war sie selbst vor dem Magierkolleg ausgesetzt worden, und in ihrem Korb befanden sich genug Edelsteine, daß sie die Ausbildung dort absolvieren konnte. Ihre Mutter mußte wohl aus reichem Hause gewesen sein, doch sie selbst war wohl unerwünscht.

Das Kolleg selbst hätte sie auch nicht aufgenommen, wäre wohl nicht der winkende Reichtum in ihre Wiege gelegt worden und der Finder so eine ehrliche Person gewesen, daß er dies alles dem Erzmagier vortrug. Dieser beschloß, daß sie nicht hier im Kolleg aufwachsen konnte, da für kleine Kinder alles zu gefährlich sei. Man müsse eine Familie für das Kind finden, doch eine Ausbildung zur Magierin wolle man aufgrund dieses schicksalhaften Winks ihr nicht verwehren.

Der Schüler bekam also die Aufgabe innerhalb eines Tages eine passende Familie für das Kind zu finden, und ihm blieb nichts anderes übrig, als in das nahegelegene Fischerdorf zu reiten um dort sein Glück zu versuchen, denn die große Stadt war mehr als 10 Tagesreisen entfernt. In dem Dorf angekommen wußte er nun nicht so recht, wie er es anstellen sollte, das kleine Würmchen jemanden aufzuschwatzen, so daß er ziemlich verlassen auf dem Dorfplatz herumirrte und dabei mehr bemüht war dieses schreinde Bündel ruhig zu stellen.

Er musterte die Leute, die vorbeigingen und ihm kamen Zweifel, daß sein erster Gedanke der Richtige gewesen wäre. Waren doch die Leute hier alles ziemlich arm und könnten einem Kind solch reicher Abstammung kein ordentliches Heim bieten. Nun ja, vielleicht hatte er ja auch nur die falsche Sicht für die Dinge, aber es entsprach seiner Meinung. Wieder wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

Was sollte er mit diesem plärrenden Balg machen? Es stank fürchterlich und gab keine Ruhe. Alle seine Bemühungen waren vergebens, und seine Erfahrung mit Säuglingen war auch äußerst begrenzt. Er schrak zusammen, als eine glockenklare Stimme neben ihm fragte: »Was hat denn das Kleine? Ooch, gutschigutschi, joo, is' ja guuuut... Puh... Da liegt aber ein Pfündchen in Deinem Höschen...«

Neben ihm stand ein junges Mädchen, selbst gezeichnet vom werdenden Leben in ihr, und mit ihr ging eine zweite Sonne auf. Jedenfalls für Markeen, den jungen Adepten, den noch nicht viel von der Welt gesehen hatte. Vor allem noch keine so hübsche Elfin wie die, die neben ihm stand. Ihr Gesicht errötete sanft, als sie ihn ansah, starrte er sie doch mit großen Augen und offenen Mund an.

Erst jetzt merkte er, daß er sie die ganze Zeit über angestarrt hatte, und sein Kopf zog es vor sich entschuldigend in karmesinrot zu färben, als er sie schief anlächelte. Sie erwiderte seine Gebahren und nannte ihm ihren Namen. Alesiade klang wie feine Musik in seinen Ohren, und während er noch dasaß und nicht wußte, was er sagen oder tun sollte, hatte sie begonnen die Kleine von ihren stinkenden Windeln zu befreien und ein Stück frischen Tuchs um die Kleine zu wickeln. Dabei redete sie unentwegt, und er sog ihre Worte wie ein Schwamm in sich auf, unfähig selbst etwas zu erwidern.

So saßen sie Stunden zusammen, so als ob sie sich seit Jahren kannten. Irgendwie hatte sie im Laufe der Unterhaltung auch geschafft herauszufinden, daß diese kleine Namenlose nicht sein Kind war, und daß er nach einer Familie für das Kind suchte. Wie selbstverständlich hatte sie sie im weiteren Verlauf ihrer Unterhaltung an ihre schon mit Milch gefüllte Brust genommen, und sein Verstand klebte an ihren Lippen.

Als sie nach dieses wie im Fluge vergangenen Stunden sagte, daß sie nun wieder nach Hause müssen, sprudelte es plötzlich von seinen Lippen, obwohl er selbst nicht so recht wußte, wie ihm geschah. Plötzlich hatte er ihr einen Antrag gemacht und sie war ihm nach einem kurzen erschreckten Aufflackern im Gesicht in die Arme gefallen. Am nächsten Tag wurde bereits Hochzeit im Angesicht des Gottes Draompin gehalten, und sie zogen in ein Zimmer bei Alesiades Eltern, daß sie sich noch mit zwei weiteren ihrer Geschwister teilen mußten.

Es dauerte vielleicht noch drei weitere Tage bis dann Alesiade ihr eigenes Kind zur Welt brachte, doch auch danach behandelte sie Meridit wie ihr eigen Fleisch und Blut. Sie selbst hatte in dem Ort auch nicht ihre Ehre verloren, da ihre Kinder ehelich zur Welt gekommen waren, und es achtete auch niemand darauf, daß er ebenfalls ein Elf war, während das Neugeborere eindeutig halbelfisch war.

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Meridit wuchs nun im behüteten Familienkreis auf, wo sie selbst als Kind häufig von ihrem Vater zur Universität mitgenommen wurde und eine besondere Ader für alles entwickelte, das man mit Neugier erkunden konnte. Dies brachte ihm sehr oft einen Tadel beim Erzmagier ein, der ihm doch vor etlicher Zeit schon gesagt hatte, daß Kinder in der Universität nichts zu suchen hatten.

Doch mit der Zeit änderte er seine Meinung, als er die besondere Begabung Meridits erkannte. Sie gehörte zu den wenigen, die alles begriffen und wie ein Schwamm in sich aufsaugen konnten, was ihnen in mündlicher oder schriftlicher Form vorgelegt wurde. Sie erwies sich als äußerst gelehrige Schülerin und schon bald begannen sie mit ihr eine besonderes Training vorzunehmen. Sie wurde in der seltenen Kunst der Sublimation unterwiesen, wobei es selbst bei der Lehrerschaft nur wenige gab, die ungefähr damit klarkamen und ehrlicherweise gar keinen gab, die es verstanden hatten. Ihre Köpfe waren schon zu vorbelastet gewesen, als sie selbst Adepten waren, doch bei ihr fanden sie einen ungeformten Geist vor, der das alte Wissen der ältesten Bücher, in sich aufnehmen konnte.

Bald schon entwickelte sie sich zu einem Liebling des Erzmagiers, doch er versuchte nur zaghaft sie in anderen Schulen der Magie zu unterweisen. Er wollte nicht dieses seltene geistige Gut zerstören und so merkte er, daß sie für die »normalen« magischen Formeln immer weniger aufnahmefähig wurde. Dafür sprach sie teilweise in einer Fachsprache, die selbst ihn oft genug mit Unkenntnis strafte. Und irgendwann überraschte ihn ihre Doktorarbeit, die sie zum Schluß ihres Studium ablieferte, wo sie in langen Zügen über die Durchführung der Sublimation sprach. Da niemand so recht verstand, worüber sie eigentlich sprach, orientierten sie sich an dem praktischen Teil ihrer Arbeit.

Dieser praktische Teil ihrer Arbeit schwamm in einem kleinen Aquarium und hießen Harras und Marras. Harras war ein knuddeliges kleines Etwas, daß sie aus einer Kreuzung eines Seepferdchens mit einem normalen Pferd hergestellt hatte. Es konnte schwimmen, wie ein normales Seepferd, doch hatte es das Fell eines weißen Schimmels. Selbst den schwarzen Klecks auf der Stirn hatte sie sich nicht verkneifen können. Auf Harras Rücken war ein kleiner Sattel geschnallt und ein winziges Ebenbild Meridits saß auf seinem Rücken. Ihre Haut glänzte etwas silbern und an ihrem Hals waren Kiemen zu erkennen. Sie hatte etwas von ihr selbst und einen Lurch zusammengefügt und so ein winzigen Clone von sich erstellt, der sowohl im Wasser als auch für begrenzte Zeit außerhalb des Wassers leben konnte.

Das Geschrei nach einigen Tagen war groß, als dann die Lebensuhr der beiden putzigen Kerlchen abgelaufen war. Erst jetzt hatte sie erkannt, warum die alten Bücher über die Inkonsistenz des künstlichen Lebens sprachen. Und so wühlte sie noch tiefer und länger in den alten Schriften, bis sie auf die versteckten Hinweise stieß, daß ein lebend geborenes Wesen deutlich bessere Konsistenz habe. Es kostete viel Arbeit das nötige Restwissen herauszufiltern, doch eines Tages gelang es ihr, daß eine Maus einen Wurf winziger Hundewesen hervorbrachte.

Die Theorie hierzu faßte sie in einem zweiten Buch zusammen, welches ihr noch einmal ähnlichen Ruhm bei den Lehrer einbrachte, da sie eigentlich gar nichts versstanden von dem, was dort geredet wurde, aber die Resultate sprachen für sich. Die Miniwelpen wuchsen auf Mausgröße heran und erlebten viele Mondumrundungen ohne eines plötzlichen Todes zu sterben.

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Doch die Zeit in der Universität war nicht ihre einzige Beschäftigung in den vielen Jahren. Bei ihrer Mutter und den Großeltern lernte sie das harte Geschäft der Fischer kennen. Oft genug mußte sie zusammen mit ihren Geschwistern beim Fischen helfen und da sie die Älteste war, ließ man sie oft doppelt so hart anfassen, wie die anderen.

Außerdem war sie sehr oft des Nachts auf den Beinen, da ihre Augen das Sonnenlicht nicht besonders gut vertrugen. Sämtliche Priester schienen machtlos zu sein, und so mußte sie damit leben lernen, bis sie eines Tages von ihrer Mutter ihre erste schwarze Brille geschenkt bekam. Es war eine Wohltat jetzt auch tagsüber mit den anderen aufs Meer hinausfahren zu können. Doch sie stellte auch fest, daß man in der Nacht die wirklich großen Fische fangen konnte.

Und der beste Abnehmer für ausgefallenen Fisch war die Universität, da dort so viele Studenten wohnten, die ja von irgendwas leben mußten. Ihr kam während ihrer ganzen Kindheit und frühen Jugend in den Sinn, warum dort immer Geld herkam, wo doch keiner dort etwas verdiente. Sie konnte ja auch nicht ahnen, daß alle Adepten sehr viel Geld aufbrachten um dort etwas lernen zu können. Von ihrem eigenen Reichtum ahnte sie nichts.

Erst als ein Sturm das halbe Dorf verwüstet und viele der ausgefahrenen Boote auf den Grund des Meeres geschleudert hatte wurde ihr das Geld um so bewußter. Ihre Großeltern waren von den Trümmern ihrer Hütte begraben worden, und zwei ihrer Brüder waren mit ihrer Mutter von den turmhohen Wellen verschlungen worden. Ihr Vater hatte sich in einer Kurzschlußhandlung das Leben genommen, so daß sie nun allein mit den restlichen Geschwistern dastand. Die meisten waren verheiratet und aus dem elterlichen Haus ausgezogen. Nur die Kleinste hatte noch zu Hause gelebt, und mit ihr zusammen bezog sie eine kleine Hütte, die sie in mühevoller Arbeit aufbauten.

Durch den Sturm waren viele der Fische nicht mehr in ihren heimatlichen Gewässern geblieben, so daß die Netze oft leer blieben. Selbst auf die großen Gesellen mußte man tagelang warten, bis man einen vor die Harpune bekam. So ergab es sich, daß sie zum ersten Mal in Richtung Stadt ritt um dort vielleicht mehr für ihre Fische zu erhalten

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Die Stadt war rauher als sie es für möglich gehalten hätte. Ihren Fisch wurde sie dort zu schlechteren Preisen los, als bei der Universität. Hinzu kam, daß eine winzige Kammer einen nicht unbeachtlichen Teil des Geldes verschlang. So lernte sie denn in einer Gastschenke Leute kennenlernte, die mit dem Geld nur so um sich warfen und von ihren heldenhaften Tun sprachen.

Keiner kümmerte sich um diese Leute, doch Meridits Aufmerksamkeit war geweckt. Immerhin war es ihnen möglich mit Kypring statt Taxmen zu zahlen. Und das Trinkgeld, daß sie hinterließen war auch nicht schlecht.

Deutlich später am Abend gingen die Leute am Nachbartisch auf ihre Zimmer, die sie sich in dem Gasthof geleistet hatten, doch einer blieb noch sitzen. Seine Augen waren nicht so glasig wie die seiner Kollegen, und ein Muttermal zierte seine Wange. Er trug eine Kette aus einem ihr unbekannten Material um den Hals und seine Kleidung war aus edelstem Stoff. Zumindest war sie gepflegt und sauber.

Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, und ging mit ihrem Krug, an dem sie sich schon den ganzen Abend festgehalten hatte, zum Nachbartisch hinüber. Er bot ihr sofort einen Platz an, was ihre ganzen Befürchtungen aufdringlich zu erscheinen verblassen ließ. Sie kamen sehr schnell ins Gespräch, und sie erfuhr von ihm, daß sie überall und nirgendwo lebten und welche schlimmen Sachen sie schon erlebt und gesehen hatten. Selbst die Schilderungen schlimmster Wesen schreckte sie nicht ab, sondern schürte nur noch das Feuer in ihr, daß ihren Geist mit Wissensdrang erhitzte.

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Als sie nach 70 Daoi wieder nach Hause zurückkam, mußte sie festellen, daß ihre kleinste Schwester nicht mehr dort wohnte. Sie hatte ihre Schwester für tot gehalten und sie dem erstbesten Angebot eines Mannes verschrieben, der sie in die Stadt mitgenommen hatte. Dabei hatte sie ihrer Schwester doch eine Freude bereiten wollen und von den bescheidenen Reichtümern, zu denen sie gelangt war, endlich einige Annehmlichkeiten kaufen wollen.

Als sie zur Stadt fuhr, um ihre Schwester dort zu suchen, mußte sie die erschreckende Feststellung machen, daß sie niemals bei der Familie dort angekommen war. Ihr vermeintlicher Ehemann hatte bereits eine andere Frau geheiratet und ihre kleine Schwester einfach vergessen, nachdem sie von den großen grünen Ungetümen entführt worden war.

Es dauerte sehr lange, um die Spur ihrer Schwester zu verfolgen. Im Grunde hatte sie schon selbst mit dem Leben ihrer Kleinen abgeschlossen, als sie Kaolei später die Nachricht bekam, er wüßte den Aufenthaltsort der Orks, die ihre Schwester damals entführten. Das Lager war nicht sehr weit von ihrem Heimatdorf entfernt, und doch war es durch seine Lage immer unentdeckt geblieben. Nachts schlich sie sich zwischen den Holzhütten hindurch und versuchte ein Lebenzeichen ihrer Schwester zu entdecken.

Erst in der fünften Nacht hatte sie Glück und hörte aus einer Hütte eine vertraute Stimme, die sehr flehend sprach, während eine andere Stimme sehr herrisch und rauh klang. Die andere Stimme sprach in einer ihr fremden Sprache, doch sie hörte die Entschuldigungen ihrer kleinen Schwester. Sie lebte also tatsächlich noch und wurde von den Monstern als Sklavin festgehalten.

Die Wut verführte sie zu verzweifelten Taten, und sie öffnete vorsichtig einen der Fensterläden um etwas von dem darin zu sehen. Der Anblick schockte sie zutiefst. Auf dem Boden rutschte ihre Schwester auf Händen und Knien herum um schrubbte wie wild mit einem groben Lappen. Ihr Leib war aufgequollen vom aufkeimenden Leben und es liefen mehrere Kinder herum, denen man deutlich ihre elfisch-orkische Abstammung ansah.

Das war zu viel! Sie riß beide Fensterläden auf und schleuderte ihren schlimmsten Zauber durch den Raum auf dieses Wesen zu, welches vom Schmerz der Säure gepeinigt aufschrie. Er sprang aus seinem weichen Sessel heraus und rannte in Richtung eines anderen Zimmers.

Meridit sprang über das Fenstersims in das Zimmer und rannte zu ihrer Schwester, die irritiert in ihre Richtung starrte. Ihr Gesicht war furchtbar gezeichnet von Schlägen und die Narben auf ihren Schultern, die in Richtung des Rückens im Kleid verschwanden, zeugten von schlimmeren Züchtigungen. Fassungslos half sie ihrer Schwester auf die Beine und drückte sie an sich, den Feind im anderen Zimmer vollkommen vergessen.

Dieser Moment des Entsetzens hätte ihr fast das Leben gekostete, denn nun huschte ein grünes Schemen mit rasanten Schritten in den Raum. In seiner Rechten führte er ein Schwert, das einen blitzenden Halbkreis beschrieb. Mit einem entsetzlich reißenden Geräusch fuhr die Klinge durch den Rücken ihrer Schwester und spritze Blut gegen die Wände. Mit einem häßlich gurgelnden Geräusch erschlaffte sie in Meridits Armen, und es hörte sich fast so an, als fühlte sie sich erlöst von all dem Schmerz und Unrecht, der ihr angetan worden war.

Mit einem Sprung, der nur einen Moment zu spät begann um dem Hieb ganz zu entkommen, rettete sie ihr eigenes Leben, während ihr das Blut aus der Schnittwunde oberhalb des Nabels sickerte. Ihr blieb nur noch die Flucht in Richtung der Tür des angrenzenden Zimmers, denn zum weiteren Zaubern war keine Zeit mehr. Jetzt konnte sie nur noch hoffen, daß nicht noch mehr von diesen Ungetümen hierher kamen.

Zur Fluch gewandt traf sie noch ein weiterer Hieb, der eine schmerzende Wunde in ihrem Rücken hinterließ, doch im Nebenraum entdeckte sie Waffen, die dieses Monstrum wohl sonst zur Jagd bei sich hatte. Bogen, Speer, Messer und anderes Kriegsinstrument war hier säuberlich angebracht, und sie griff nach dem erstbesten, daß sie in ihre Finger kriegen konnte.

Sie schnappte sich einen Speer und täuschte ein Schleudern vor, auf das er mit einem frontalen Angriff konterte. Doch sie ließ sich nach hinten wegkippen und verkeilte den Speer in der Kante zwischen Boden und Wand, so daß der Ork mit entsetzten Augen hineinfiel, als sie ihm ihre Füße gegen die Knie schmetterte.

Doch der Tumult war nicht unentdeckt geblieben, und während der Ork mit dem Speer in der Brust langsam starb, hämmerten Schläge an die Tür, die die Türangeln verdächtig aufstöhnen ließen. Sie flüchtete gerade in Richtung des Raumes aus dem sie gekommen war, als diese nachgaben. Noch gewaltiger als ihr erster Gegner stand er in der Tür. Während sie erschrocken zurücksah trafen sich ihre Blicke. Er schaute fassungslos zu dem anderen Wesen auf dem Boden und dann voller Haß in ihre Richtung. Erst jetzt besann sie sich wieder auf ihre Flucht, doch diese kalten Augen würde sie nie vergessen...

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In Gewißheit dieser grausiger Erlebnisse hatte sie ihr orkisch-elfisches Kind ausgesetzt. Sie fühlte sich wohl, als sie diese schreckliche Erinnerung ablegen konnte und hob den Kopf und sog die frische Nachtluft voller Hochgenuß in ihre Lungen. Ihre Nasenflügel bebten leicht vor Erleichterung, aber auch die Kälte der Nacht kroch langsam in ihre Glieder. Sie redete sich ein, daß sie hoffte ihr Balg möge die Gnade des Erfrierens erhalten.

Doch in einem Anflug von Mütterlichkeit senkte sie sich noch einmal zu ihm und wünsche ihm alles Glück der Welt, auf das er ohne seine Mutter zurechtkäme. Mit diesen Worten deckte sie ihn noch ein bißchen wärmer zu und erhob sich, um mit raschen Schritten die Stufen hinabzueilen. Dort drehte sie sich noch ein letztes Mal um und ließ einen kleinen Vogel zu dem Tor fliegen, der die Glocke picken sollte, bis die Tore geöffnet wurden.

Sie war schon über fünfhundert Schritte vom Tempel entfernt, als das Stackato abbrach. Seltsam. Irgendwie schien sie doch erleichtert zu sein, daß ihr Kind nicht gestorben war. Doch diesen Gedanken verwarf sie schnell wieder. Ein solches Kind wollte sie ja auch nicht haben, denn es war in brutaler Gewalt entstanden.

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Es dauerte Wochen, ehe sie wieder in einen Ort kam. Unterwegs war sie Veriga Mahal, einer wirklich netten Halbelfin, begegnet, mit der sie einige Zeit gemeinsam reiste. Von ihr hatte sie auch erfahren, daß es in ihrem Heimatort Edjangrund ein Haus gäbe, in dem seltsame Dinge passierten. Dies erregte ihre Neugier dermaßen, daß sie von ihrem ursprünglichen Wege abwich und dorthin mitwanderte.

Dort traf sie auch Verigas Eltern, und diese waren anscheinend nicht sehr gut auf ihre Tochter zu sprechen. Dennoch nahmen sie sie auf, da sie ihnen »gedroht« hatte, daß sie sonst in dem alten Spukhaus, wie es dort anscheinend genannt wurde, wohnen wollte.

Auch Meridit wurde eingeladen dort zu nächtigen, doch sie schlug dies aus. Sie wollte endlich wissen, was dort drüben vor sich ging, waren es doch schon etliche Tage, die seit der ersten Erwähnung dieses Hauses durch Veriga vergangen. Sie bereitete ihre effektivsten Zauber vor, damit sie einem untoten Gegner gewappnet wäre. Vielleicht war ja doch etwas an der Geschichte dran? Sie wollte jedenfalls nicht unvorbereitet dort hingehen.

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Der Anblick des Hauses war gewaltig. »Haus« war eigentlich das falsche Wort für dieses Spukschloß. Und selbst dieser Begriff schien noch eine Klasse zu klein zu sein.

Fortsetzung folgt bald...


top   22.08.1997 by Zuul